Götter der Nacht
Baumarten, die ihnen unbekannt waren. Aber so erging es ihnen bereits seit dem Tal der Krieger. Selbst die Natur schien den Unterschied zwischen den Oberen Königreichen und den Ländern des Ostens betonen zu wollen. Yan hätte sich nicht gewundert, wenn er ein fliegendes Margolin gesehen hätte.
Während die Baumwipfel in üppigem Grün leuchteten, war der Boden um die Wurzeln herum kahl. Abgesehen von verschiedenen Pilzen und dichtem Moos machten keine
Gewächse den Bäumen ihren Platz streitig. Fünf Schritte über der Erde verflochten sich Äste, Zweige und Blätter zu einem schier undurchdringlichen Netz, das zudem von einer vermehrungsfreudigen Schlingpflanzenart überwuchert wurde. Als die Erben immer tiefer in den Wald eindrangen, schien die Decke aus üppiger Vegetation schwer auf ihnen zu lasten.
»Selbst bei Regen bleibt der Boden vermutlich trocken«, sagte Bowbaq und versuchte vergeblich, einen Blick auf den Himmel zu erhaschen.
»Da oben dürfte es vor Leben nur so wimmeln«, sagte Yan. »Insekten, Vögel … Miff hätte ihren Spaß«, sagte er grinsend.
Natürlich hatte keiner die Absicht, das Mausäffchen auszusetzen, ganz davon abgesehen, dass Miff das nicht mit sich hätte machen lassen.
»Seht Euch mal diesen Stamm an!«, rief Rey und zeigte auf einen gewaltigen Rindenbaum. »Wenn man ihn aushöhlt, könnte man bequem darin wohnen!«
»Vielleicht wohnt der Lindwurm ja in einem hohlen Baum«, sagte Léti. »Was glaubt Ihr eigentlich, wie er aussieht?«
»Ich glaube, er sieht aus wie Grigán«, antwortete Rey prompt. »Nur schöner und mit einem Schnurrbart.«
»Ha, ha, sehr witzig«, brummte der Krieger missmutig.
Létis Bemerkung hatte Corenn auf eine Idee gebracht.
»Wie mag die Pforte wohl aussehen?«, fragte sie. »Die auf Ji befindet sich in einer Höhle, aber hier dürfte es weit und breit keine Höhle geben. Der Sohonische Bogen wiederum ist aus Stein. Vielleicht ist die Pforte des Landes Oo ja in einen Baum geschnitzt?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Grigán. »Alle Pforten, die wir kennen, sind für die Ewigkeit geschaffen.«
»Rindenbäume können sehr, sehr alt werden«, warf Bowbaq ein, der froh war, auch einmal etwas beitragen zu können. »Und wenn sie absterben, wird das Holz so hart, dass es nur durch Feuer zerstört werden kann.«
»Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn hier ein Feuer ausbricht«, sagte Rey. »Die Schlingpflanzen sind knochentrocken und überwuchern sämtliche Bäume. Der Wald würde brennen wie Zunder.«
»Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um magische Pforten handelt«, sagte Corenn. »Sie sind von göttlicher Hand erschaffen. Als solche dürften sie über eine gewisse Widerstandskraft verfügen. Eine Art Schutz.«
»Den Schutz ihres Ewigen Wächters«, ergänzte Lana. »Der Lindwurm passt vermutlich auf, dass im Land Oo kein Feuer ausbricht.«
Zum Glück hatten sie bislang weder Fackeln noch Laternen entzündet, obwohl kaum Licht durch die dichte Pflanzendecke drang.
»Wenigstens wissen wir jetzt, wie wir ihn anlocken können«, sagte Grigán.
»Jedenfalls, wenn uns nicht daran gelegen ist, Freundschaft mit ihm zu schließen«, versetzte Rey sarkastisch.
»Wenn sich die Pforte in einem Baum befindet, dürfte es nicht lange dauern, sie zu finden«, sagte Léti glücklich. »Es muss sich um einen der größten Bäume handeln.«
»Leider können wir von hier unten nicht erkennen, wie hoch die Bäume sind«, sagte Corenn bedauernd und starrte zu dem wild wuchernden Pflanzenreich hinauf. »Und sie sind zu groß, um an ihnen hochzuklettern.«
»Nicht für Miff«, sagte Yan vorsichtig. Er ahnte schon, wie Corenns Antwort lauten würde.
»Auf keinen Fall! Du wirst nicht deine Gesundheit aufs Spiel setzen, nur um nach einem Baum Ausschau zu halten! Du kannst so oft Gedanken lesen, wie du willst, aber von diesem Tiefen Geist will ich nichts mehr hören!«
Er nickte mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung. Es war ein äußerst unangenehmes Gefühl gewesen, von einem fremden Körper Besitz zu ergreifen. Das wollte er nicht so bald wieder erleben.
»Ich glaube sehr wohl, dass man auf einen der Bäume klettern kann«, sagte Rey. »An den Schlingpflanzen kann man sich gut festhalten, und es gibt genug Äste, auf die man die Füße stellen kann. Außerdem haben wir doch ein Seil, nicht wahr?«
Er zügelte sein Pferd, stieg ab und streckte sich, um seine Muskeln zu lockern. Yan reichte ihm das Seil, dass er
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