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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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es immer schwieriger, sich zu orientieren, denn sie entfernten sich weiter und weiter von ihrem Ausgangspunkt.
    Gegen Mit-Tag hatten sie immer noch keine Ruine gefunden. Sie aßen hastig eine Kleinigkeit und nahmen ihren Irrritt durch den Wald wieder auf. In den wenigen Dekanten, die ihnen noch bis zum Einbruch der Dunkelheit blieben, wollten sie so viele Bäume wie möglich überprüfen.
    »Wenn sich die Pforte öffnet, müsste wie auf Ji ein grelles Licht aufleuchten«, sagte Léti einer plötzlichen Eingebung folgend. »Vielleicht sollte einer von uns noch einmal auf einen Baum klettern und nach dem Licht Ausschau halten.«
    »Niemand klettert hier mehr auf irgendwelche Bäume«, sagte Grigán. »Es sei denn, ich befehle es.«
    »Und selbst wenn wir das Licht sehen würden, könnten wir die Pforte vielleicht gar nicht rechtzeitig erreichen«, fügte Corenn hinzu, um die Enttäuschung ihrer Nichte zu mildern.
    Die Zeit verging, und ihre Suche blieb erfolglos. Ohne Grigáns Kompass hätten sie geglaubt, im Kreis zu reiten, so sehr glichen die Bäume einander. Sie bemühten sich zwar, den Wald systematisch zu durchforsten, doch dafür war er im Grunde viel zu groß.

    Im fünften Dekant, als sich die Sonne unaufhaltsam dem Horizont zuneigte, wurden die Schlingpflanzen über ihnen plötzlich von einer heftigen Bewegung erschüttert, und es ertönte ein lautes Rascheln und Knacken. Bis die Erben zur Seite gesprungen waren und ihre Schwerter gezogen hatten, war der Spuk bereits wieder vorbei.
    Sie standen reglos da und starrten auf das Gewirr aus Zweigen und Ästen. Doch im Land Oo war wieder Stille eingekehrt.
    »Vermutlich haben wir nur irgendein Tier aufgescheut«, sagte Corenn.
    Sie ritten langsam weiter und fragten sich, was für ein Tier wohl einen solchen Krach machte. Die Schlingpflanzen waren zäh und hielten mühelos das Gewicht eines erwachsenen Menschen aus. Der Gedanke, dass ein Tier von dieser Größe über ihren Köpfen hauste, war beängstigend.
    »Der Bergfried!«, rief Bowbaq plötzlich aus. »Da ist er! Wir haben die Ruine gefunden!«
    Die Gefährten lenkten ihre Pferde an seine Seite. Der Riese, auf dessen Schulter wie immer Miff saß, strahlte über das ganze Gesicht. Tatsächlich erspähten sie zwischen den Bäumen die verwitterten Steine eines verfallenen Turms.
    »Die Pforte muss ganz in der Nähe sein«, rief Lana aufgeregt. »Wir sind da!«
    »Immer mit der Ruhe«, dämpfte Grigán ihre Begeisterung, obwohl er geneigt war, sich von der Freude seiner Freunde anstecken zu lassen. »Von nun an müssen wir doppelt wachsam sein. Vergesst nicht, dass wir vielleicht erwartet werden.«
    Den Erben gelang es, sich so weit zu beherrschen, dass sie schwiegen, auch wenn ihre Gesichter vor Freude strahlten.

    »Wir dürfen die Ruine nicht aus den Augen verlieren«, fuhr Grigán fort. »Wir werden in immer größeren Kreisen um den Turm herumreiten, bis wir die Pforte gefunden haben.«
    »Wollt Ihr Euch den Turm etwa nicht ansehen?«, fragte Rey verblüfft.
    »Doch. Aber vielleicht haust dort der Lindwurm. Bei der Vorstellung vergeht mir die Neugier.«
    Mit leisem Bedauern verzichteten die Erben darauf, sich die Ruine anzusehen, nach der sie so lange gesucht hatten, und folgten Grigáns Anweisung. Als Léti ihr Rapier zur Hand nahm, zog auch Yan sein Schwert, und Rey folgte ihrem Beispiel.
    Die erste Runde um den Turm legten sie mit einer Mischung aus Vorfreude und Anspannung zurück. Beim zweiten Mal blieb nur noch die Anspannung. Bei der dritten Runde verloren sie die Ruine aus den Augen und mussten sich wieder nach Grigáns Kompass richten.
    Yan begann sich zu fragen, ob ihn seine Erinnerung an das romische Manuskript nicht täuschte und die Pforte sich vielleicht überhaupt nicht in der Nähe des Turms befand. Und was hieß überhaupt »in der Nähe«? Falls die anderen von ähnlichen Zweifeln geplagt wurden, verloren sie jedenfalls kein Wort darüber.
    Sie entdeckten die Pforte alle im gleichen Moment. Sie war so imposant, dass man sie eigentlich nicht übersehen konnte. Allerdings war sie hinter zwei jahrhundertealten Lenostern verborgen.
    Die Pforte war in einen mindestens vierzig Schritte hohen Rindenbaum geschnitzt. Sie selbst war mehr als zwanzig Schritte hoch und acht Schritte breit: größer als ein Haus.

    Grigán ritt in den Durchgang hinein und strich über die ethekischen Zeichen in dem trockenen Holz. Es waren die gleichen wie auf der Insel Ji. Die gleichen wie in Sohon. Die Pforte von Oo war

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