Götter der Nacht
Sie unterhielten sich eifrig, um ihre Nervosität zu überspielen.
»Aber warum treiben sich die Toten da herum?«, fragte Rey im Scherz. »Haben sie nichts Besseres zu tun?«
»Ihr könnt sie gern fragen. Angeblich haben meine Amtsbrüder
so lange in den Kellergewölben des Turms gegraben, bis sie auf die alte Bibliothek von Romerij gestoßen sind, die sie dort vermutet hatten. Zunächst war alles in bester Ordnung. Aber dann verschwanden die ersten Kollegen, und in den Gängen wurden schemenhafte Gestalten gesichtet. Wenn Ihr mich fragt, hätten sie das Loch sofort wieder zuschütten sollen. Stattdessen mussten sie dann zwei Jahre später das ganze Gebäude zumauern.«
Grigán und Corenn sahen sich vielsagend an. Das gesamte Wissen der Menschheit.
»Diese Geister sind also wirklich so gefährlich?«, fragte Lana scheu.
Hulsidor blieb stehen und musterte sie streng. »Wenn Ihr das nicht ernst nehmt, weigere ich mich, in den Turm hinabzusteigen. Das ist keine gewöhnliche Bibliothek, sage ich Euch. Das wird kein Spaziergang. Vielleicht kommt es sogar zum Kampf.«
»Tatsächlich?« Der stolze Grigán konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. »Wir werden unser Bestes tun, um Euch nicht im Weg zu stehen, Meister Bibliothekar.«
Beleidigt stapfte der Rominer weiter. Er hatte den Spott sehr wohl herausgehört, aber er war klug genug, den offenbar recht empfindlichen ramgrithischen Krieger nicht zu provozieren.
»Können Waffen überhaupt etwas gegen Geister ausrichten?«, fragte Yan. »Sie sind doch schon tot.«
»Aber man kann ihnen wehtun. So hält man sie sich einigermaßen vom Leib. Man muss nur aufpassen, dass sie sich nicht von hinten anschleichen. Bei dem Schattenfresser hilft das natürlich nichts … Den muss man früh genug hören, um noch fliehen zu können. Im fünfzehnten haben sie schon drei Männer verloren. Nur vier Stockwerke unter
meinem! Tja, je tiefer man hinuntergelangt, desto schwieriger ist es, schnell wieder die Treppe hinaufzukommen … Manchmal beneide ich meine Kollegen in den oberen Etagen. Aber ihre Bücher sind uninteressant.«
»Wie sieht dieser Schattenfresser denn aus?«
»Keine Ahnung. Aber wenn ich ihn kreischen höre, kann ich mir seine Fangzähne ganz gut vorstellen. Wenn ich Euch sage, dass Ihr laufen sollt, dann vertraut mir und rennt, so schnell Ihr könnt. Dreht Euch auf keinen Fall um. Es ist nicht immer gut, seiner Neugier nachzugehen.«
Yan nickte nachdenklich. Wie klug dieser Rat war, wusste er aus eigener Erfahrung.
Der junge Meister erwacht. Der junge Dyarch, wie die Kämpfer ihn zu nennen pflegen, ohne die Bedeutung des Wortes zu kennen. Sie wissen nur, dass der andere Dyarch jener Mann ist, dem sich Gors der Zimperliche zu Füßen wirft, und das reicht aus, um dem jüngeren mit großem Respekt und einer gewissen abergläubischen Furcht zu begegnen.
Angeblich ist er der Sohn des hohen Dyarchen. Einige behaupten, die beiden könnten ebenso gut ein und dieselbe Person sein, schließlich verberge sich der eine die ganze Zeit über in seinem Zelt - oder in seinem Wagen, wenn sich die Armee in Marsch setzt -, während der andere seinen Helm niemals abnehme. Diejenigen, die diese Gerüchte verbreiten, bekommen schnell Gelegenheit zur Reue, wenn man sie auf das Dornenrad fesselt. Der hohe Dyarch hört alle Gerüchte.
Der junge Meister steht auf und geht langsam auf das Lager der Konkubinen zu. Sein Freund hat ihn dorthin gerufen,
ohne ein Wort zu sagen oder einen Boten zu schicken. Er dringt einfach in seinen Geist ein, wie er es schon immer getan hat. Wie nur er es tun kann. Eine Stimme, die den Lärm Tausender anderer in seinem Kopf übertönt.
Zwei Gladoren der Leibgarde folgen ihm in respektvollem Abstand. Sie haben gelernt, ihn unter keinen Umständen zu stören. Sie sprechen ihn nicht an, und selbst untereinander wechseln sie kein Wort. Sie sind so unauffällig wie möglich. Ihre Anwesenheit ist ohnehin überflüssig, denn niemandem käme es in den Sinn, den jungen Dyarchen anzugreifen. Die Gladoren begleiten ihn nur, weil das einem Ranghöchsten zusteht.
Bis zuletzt wissen sie nicht, wohin er geht. Der junge Meister betritt eines der verschont gebliebenen Häuser des Dorfes, das ihre Armee kurz zuvor dem Erdboden gleichgemacht hat. Dort sind eine Reihe neuer Sklavinnen zusammengepfercht. Einige werden in die Schar der Konkubinen des hohen Dyarchen aufgenommen. Die anderen können sich glücklich schätzen. Als Sklavinnen dürfen sie hoffen,
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