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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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Freunde vielleicht gerade in Lebensgefahr schwebten, und schämte sich noch mehr.
     
     
     
    Bowbaq schien unter Hypnose zu stehen. Der Geist tanzte vor seinen Augen wie eine Flamme auf einem Kerzendocht. Obwohl er harmlos wirkte, wusste Léti, dass sie eingreifen musste, und zwar so schnell wie möglich.
    Die Umrisse des Geistes waren klar zu sehen. Er hatte menschliche Züge und die Gestalt einer Frau, die viele als
schön bezeichnet hätten. Man hatte sogar den Eindruck, als umwehten lange Haare ihr Gesicht, wie von einer sanften Brise bewegt.
    Der Geist bewegte die Lippen, aber Léti hörte nichts. So vorsichtig wie möglich pirschte sie sich an, um zu lauschen. Die Gestalt gab keinen Laut von sich. Wenn überhaupt, so sprach sie in Gedanken zu Bowbaq.
    Der Riese schwankte, und Léti hoffte, er würde wieder zu Sinnen kommen. Doch sein starrer Blick und die ruckartigen Bewegungen verrieten, dass er immer noch im Bann des Geistes stand. Schwerfällig tappte er auf einen massiven Schrank aus Blattbaumholz zu und begann, seinen Inhalt auf den Boden zu werfen. Einen ganzen Haufen staubtrockenes Papier.
    Entsetzt erkannte Léti, was gleich geschehen würde. Ihr blieb keine Zeit mehr, die Gefahr abzuwägen oder sich einen besseren Plan zurechtzulegen. Hastig stürzte sie aus ihrem Versteck und rannte auf den Geist zu.
    Sie durchschnitt ihn dreimal mit ihrem Rapier. Aber die milchige Gestalt hatte keinerlei Substanz, und Léti zog die Klinge nur durch Luft. Der Geist wandte sich mit einem heimtückischen Grinsen zu ihr um. Er versuchte, in ihre Gedanken einzudringen, doch Léti wehrte den Eingriff vehement ab.
    Plötzlich setzte der Geist eine triumphierende Miene auf. Léti zögerte einen Augenblick lang. Das wurde ihr zum Verhängnis.
    Sie spürte einen heftigen Schlag im Rücken und ging mit einem Schmerzensschrei in die Knie. Grigáns Unterricht rettete ihr das Leben, denn sie rollte sich rasch über die Seite, sprang auf und stand einem neuen Gegner gegenüber.
    Ein drei Schritte großer Geist bedrohte sie mit zehn messerscharfen
Krallen. Er fauchte wie ein Raubtier und begann dann zu singen. Der schwermütige Gesang erinnerte sie an heulenden Wind.
    Léti wich vier Schritte zurück und stand plötzlich mit dem Rücken zur Wand. Die beiden Geister glitten wie Schlangen auf sie zu. Hinter ihnen machte sich ein verhexter Bowbaq daran, Feuer zu legen.
     
     
     
    Wie Spinnen in einer solchen Umgebung überleben konnten, war den Gefährten ein Rätsel. Doch Grigán, der die Gruppe anführte, musste immer wieder Netze zerreißen und zog damit den Zorn ihrer Bewohnerinnen auf sich.
    Auf dem Treppenabsatz des fünfzehnten Stocks angekommen, machten die Erben eine kurze Verschnaufpause. Gleich würden sie in Tiefen hinabsteigen, aus denen niemand je zurückgekehrt war. Eine Schlangengrube, dachte Corenn. Und ausgerechnet dort wollen wir Eier stehlen.
    Grigán warf ihr einen fragenden Blick zu, und die Ratsfrau nickte. Vorsichtig gingen sie weiter, stets auf der Hut vor Gefahren.
    »Was meint Ihr, wie viele Geschosse es gibt?«, fragte Lana.
    »Selbst Hulsidor weiß es nicht genau«, antwortete Corenn. »Er schätzt, dass sich die alte Bibliothek von Romerij im sechsundzwanzigsten befindet.«
    Kopfschüttelnd versuchte Grigán sich daran zu erinnern, warum er diesem Ausflug zugestimmt hatte. Was wühlten sie hier in einer Geisterruine in Romin herum, wenn sie doch alle Antworten in Maz Achems Tagebuch finden würden, in Ith, am anderen Ende der Oberen Königreiche?
    Weil sie sich nicht darauf verlassen konnten, gestand er
sich ein. Achem hatte vielleicht auch nicht mehr in seinem Tagebuch festgehalten als Corenn in ihrem. Womöglich hatte er nur wahllos einige Gedanken notiert, ohne die Gründe zu erwähnen, die Saat zu ihrem Feind machten.
    Saat, einer der Gesandten der Insel Ji. Ein Mann, der seit über einem Jahrhundert als tot galt. Sie würden ihm nur entkommen können, wenn sie dem Geheimnis ihrer Vorfahren auf die Spur kamen. Und dazu mussten sie das Rätsel der Pforten lüften.
    »Die Geister verhalten sich ziemlich still«, bemerkte Rey. »Das beunruhigt mich ein bisschen. Vor allem bei dem Gestank, der hier unten herrscht.«
    »Wir sind in ihr Reich eingedrungen, in ihre Höhle«, erklärte Grigán und sah sich lauernd um. »Sie sind überrascht, aber es wird nicht lange dauern, bis sie zuschlagen. Vermutlich umso heftiger …«
    Als hätten sie seine Worte gehört, tauchten plötzlich drei Gestalten vor dem

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