Götter der Nacht
nötig?‹
»Kommt näher, dann beweise ich es Euch«, stieß Rey hervor.
›Gemach, gemach‹, beschwichtigte ihn der Geist. ›Auch wir sind Euch nicht feindlich gesinnt. Wollt Ihr uns wirklich drohen? Warum?‹
»Dann dürfen wir also gehen?«, fragte Grigán ironisch.
Er kannte die Antwort bereits. Es war nicht seine Art, sich etwas vorzumachen. Die Sirene ging auch gar nicht auf die Frage ein.
›Wenn Ihr nicht als Feinde kommt, so strebt Ihr sicher nach Wissen‹, sagte sie und ließ dabei ihre Fangzähne aufblitzen. ›Wie können wir Euch behilflich sein?‹
»Indem Ihr Euch zum Teufel schert«, sagte Rey feindselig. »Wenn Ihr so freundlich wärt, Verehrteste.«
»Was wäre der Preis für Eure Hilfe?«, fragte Corenn misstrauisch. »Menschenfleisch, nehme ich an?«
Die Geister ließen ein verräterisches Zähneklappern hören. Ihnen schien das Wasser im Mund zusammenzulaufen.
Die Sirene beherrschte sich mühsam. Sie schluckte geräuschvoll und wandte sich direkt an Corenn. ›Ich schlage Euch einen Handel vor‹, sagte sie genüsslich. ›Ich führe Euch zu den Werken, die Euch interessieren. Im Gegenzug überlasst Ihr mir einen Eurer Diener.‹<
Die Erben waren so verblüfft, dass es ihnen die Sprache verschlug. Über die Absichten der Geister bestand nun kein
Zweifel mehr. Selbst Rey verstummte vor Entsetzen. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Grigán der Ratsfrau, dass sie versuchen konnten, sich gewaltsam einen Weg zu bahnen. Doch zu seiner großen Überraschung schüttelte Corenn den Kopf.
»Ich habe einen anderen Vorschlag«, sagte sie. »Ihr führt uns, wohin wir wollen. Im Gegenzug schenke ich Euch ein Buch, von dem Ihr noch kein Exemplar besitzt.«
Die Sirene zischte wütend. Sie schien sich eine Weile mit ihren Begleiterinnen zu beraten. Grigán nutzte die Pause, um seiner Verwunderung Ausdruck zu geben.
»Was soll das?«, flüsterte er. »Wie kommt Ihr nur auf die Idee, sie damit ködern zu können?«
»Das weiß ich selbst nicht. Es war nur so ein Gefühl. Die Geister sind ja gewissermaßen die Hüter der Bibliothek, oder nicht? Es ist einen Versuch wert.«
»Und was passiert, wenn sie herausfinden, dass Ihr kein solches Buch bei Euch habt?«
Corenn kam nicht dazu, darauf zu antworten. Die Sirenen hatten ihre Beratung beendet.
›Wir willigen in den Handel ein. Aber seid auf der Hut, Sterbliche: Solltet Ihr Euer Wort brechen, kennen wir keine Gnade.‹
»Wir auch nicht«, knurrte Grigán und zeigte dabei nacheinander mit der Schwertspitze auf jede der Sirenen.
Trotz dieser Drohgebärde wusste der Krieger nur zu gut, dass sie nichts gegen diese Geister ausrichten konnten. Die abergläubische Angst vor Eurydis war den Sirenen fremd. Wenn sie sich wutentbrannt auf die Besucher stürzten, würden ihnen die anderen Geister sofort folgen und den Erben nicht die geringste Chance lassen.
›Was ist der Gegenstand Eurer Suche?‹
»Das Jal’karu«, erwiderte Corenn bestimmt. »Und die Pforten, die dorthin führen.«
Die Sirene setzte ein grausames Lächeln auf, das ihre Fangzähne noch weiter entblößte. Lana bildete sich ein, dass sie länger geworden waren.
›Ihr werdet nicht enttäuscht sein‹, versprach der Geist geheimnisvoll. ›Folgt mir.‹
Léti behauptete sich tapfer gegen ihre beiden Feinde. Von der nymphenhaften Gestalt, die sich damit begnügte, ihr die Waffe mit Worten entlocken zu wollen, ging keine große Gefahr aus, aber der andere Geist war schnell wie eine Schlange und stark wie ein Bär.
»Bowbaq! Bowbaq, hilf mir!«, rief sie immer wieder.
Doch der verhexte Riese hörte sie nicht. Wie ein Betrunkener schwankte er zwischen den überall verstreuten Manuskripten umher und fachte das Feuer weiter an. Hier und da schlugen die Flammen bereits bis an die Decke. In einer Dezime würde das Feuer alles verschlingen.
Also konzentrierte sich Léti auf den Kampf. Fester Stand, sichere Hand, wacher Geist, sagte sie sich immer wieder vor, so wie Grigán es ihr beigebracht hatte. Doch diesmal hatte sie es mit besonderen Gegnern zu tun. Wenn sie zu früh zuschlug, hatten sie noch keine Gestalt angenommen, sodass ihre Klinge ins Leere stach. Und wenn sie zu spät zuschlug … Daran durfte sie gar nicht denken.
Das Krallengespenst hatte ihr bereits die Wange und eine Seite ihres Körpers zerkratzt. Es lauerte nur darauf, sie empfindlich zu verletzen, und es würde keine Ruhe geben, bis es sein Opfer getötet hatte.
Léti erkannte, dass sie auf diesem Weg keine
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