Götter der Nacht
Bibliothekar sah den finster dreinblickenden Ramgrith an und schluckte vernehmlich. Grigán hatte endgültig genug von diesem abergläubischen Jammerlappen. Er beschloss, selbst die Führung zu übernehmen.
»Wisst Ihr, welche Fachgebiete sich in welchem Stockwerk befinden?«, fragte Corenn höflich.
»Nein«, sagte Hulsidor entschuldigend. »Ich kenne nur die ersten fünfzehn. Tiefer ist noch keiner vorgedrungen - jedenfalls ist keiner von dort zurückgekehrt.«
»Wisst Ihr, wo sich die Abteilungen Geschichte und Theologie befinden?«
»Geschichte ist im dritten«, frohlockte Hulsidor. »Da können wir hin, die Tür ist nie verschlossen.«
»Und Theologie?«
Der Rominer schüttelte den Kopf. Diese Abteilung musste in den unerforschten Stockwerken liegen. Dort, wo es nur so von Geistern wimmelte, einer mächtiger und gefährlicher als der andere.
»Wir müssen schnell sein«, mahnte Grigán. »Wir haben keine Zeit, beide Stockwerke zu durchsuchen. Am besten teilen wir uns auf.«
Corenn stimmte zu. Die Vorstellung, die Gruppe noch mehr zu schwächen, gefiel ihr gar nicht, aber so konnten sie am ehesten hoffen, fündig zu werden.
»Ich suche unten«, beschloss sie. »Es wäre mir lieb, wenn Ihr mich begleiten könntet, Lana. Euer Wissen wird uns nützlich sein. Meister Hulsidor, könntet Ihr Yan den dritten Stock zeigen und ihm bei der Suche helfen?«
»Aber gern«, versicherte der Rominer, der sich freute, so gut wegzukommen.
Grigán und Rey entschieden sich selbstverständlich, Corenn und Lana zu begleiten, um ihnen Schutz zu bieten. Yan wusste nur zu gut, warum er nach oben geschickt wurde: Corenn wollte um jeden Preis verhindern, dass sich der Jüngste der Gruppe erneut der Gefahr aussetzte. Es war ihr lieber, ihn in Létis Nähe zu wissen.
Als sie auseinandergingen, gab ihnen Hulsidor noch einen letzten Rat mit auf den Weg. »Einige Geister werden
versuchen, Euch in ein Gespräch zu verwickeln«, warnte er. »Hört nicht hin. Es sind Sirenen. Sie werden euch geradewegs zum Schattenfresser locken.«
»Die haben wir in Lorelia auch«, frotzelte Rey. »Dort nennen wir sie Animierdamen.«
Niemandem war zum Lachen zumute. Die Erben begannen den Abstieg ins Ungewisse. Ein beißender Geruch drang aus der Dunkelheit zu ihnen herauf.
Der dritte Stock, in dem sich die Geschichtsabteilung befand, war um einiges unordentlicher als Hulsidors Abteilung. In heillosem Durcheinander stapelten sich achtlos übereinandergelegte Bücher bis an die Decke.
»Hier finden wir ganz bestimmt nichts«, meinte Yan. »Höchstens mit viel Glück.«
»Das habe ich Euch ja gleich gesagt.« Der Rominer war froh, seine gekränkte Ehre zumindest ansatzweise wiederherstellen zu können.
Sie machten sich trotzdem an die Arbeit, Yan sehr viel gründlicher als der Bibliothekar. Sie suchten Hinweise auf Nol den Seltsamen und seine Besuche an den Königshöfen, die zu mindestens zwei verschiedenen Zeitpunkten stattgefunden hatten. Die Aufgabe gestaltete sich schwierig, zum einen, weil eine systematische Aufstellung völlig fehlte, zum anderen, weil einem so spezifischen Thema sicher kein eigenes Werk gewidmet war, und nicht zuletzt deshalb, weil Yan nur Itharisch verstand. Nach einer Weile gaben sie jede Hoffnung auf. Hulsidor stellte die Suche ganz ein.
Stattdessen ging er daran, die okkulten Zeichen auf seinen Händen nachzumalen. Yan befragte ihn dazu, während er weitersuchte.
»Wer hat Euch diese Zeichen gelehrt?«
»Die habe ich natürlich aus einem Buch. Die Anleitung zum Exorzismus von Jéron dem Zartbesaiteten. Ein seltenes Werk.«
»Es ist eine Art Schutzbemalung, oder?«
»Genau. Es sind magische Runen«, erklärte er und sah den jungen Mann vielsagend an.
Yan blieb stehen, um die ineinander verschlungenen Kreise und Linien, denen der Rominer eine höhere Macht beimaß, näher zu betrachten. Corenn hatte ihm noch nichts über derlei Dinge erzählt, aber das musste nichts heißen … Plötzlich betrachtete er Hulsidor mit anderen Augen.
»Ich bin Yan der Neugierige, Meister der Erde«, stellte er sich schließlich in der unter Magiern üblichen Form vor.
Der Rominer starrte ihn verblüfft an. Yan dämmerte, dass er sich geirrt hatte.
»Und was interessiert mich das? Einen Bauer kann ich nicht gebrauchen! Du bist mir vielleicht ein komischer Kauz!«
Yan lief vor Verlegenheit rot an und wandte sich wieder den Büchern zu. Er war froh, dass sie niemand beobachtet hatte. Dann erinnerte er sich, dass seine
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