Götter der Nacht
ihre Geheimnisse wahren würden und ihnen vielleicht auf die eine oder andere Weise helfen könnten. Lag die eurydische Lehre nicht in den Händen ihrer Priesterschaft?
Grigán war da keine Ausnahme. Lanas Schweigen und ihr aufmerksamer, wohlwollender Blick ermutigten ihn hundertmal mehr als lange Worte.
»Ich glaube nicht … Ich glaube nicht an einen Gott in dem Sinne, wie Ihr es versteht«, sprach er zögernd weiter. »In Griteh hat man mich einst gelehrt, zu Alioss und Lusend Rama zu beten. Aber da war ich noch ein Kind. Was ich damals dachte, ist nicht von Belang. Als ich erwachsen wurde, begann ich zu zweifeln, und nach meiner Flucht aus den Unteren Königreichen gab ich das Beten auf.«
Lana teilte Grigáns Meinung über den kindlichen Glauben nicht, aber sie sagte nichts dazu.
»Glaubt Ihr denn vielleicht an … die Natur?«, fragte sie behutsam nach. »Den Wald, die Jahreszeiten, die Seele der Tiere? Ist es so etwas?«
»Findet Ihr das dumm?«, erwiderte er leicht verschämt.
»Nein, ganz und gar nicht«, versicherte ihm Lana verständnisvoll. »Wenn man wie Ihr sein ganzes Leben auf Wanderschaft verbringt, ist es nur natürlich, in der Morgenröte oder in einem neugeborenen Rehkitz mehr Göttlichkeit zu erkennen als in den uralten Schriften. Das ist ein löblicher Glaube, Meister Grigán.«
»Danke«, murmelte er noch verlegener. »Aber Ihr seid … Ihr seid nicht verärgert wegen …«
»Wegen Eurydis?«, sprang sie ihm bei. »Das kommt ganz auf Euch an. Was würdet Ihr sagen, wenn die Maz die Schönheit der Natur preisen würden?«
Grigán dachte eine Weile nach, aus Angst, in eine Falle zu tappen. Er hatte das Gefühl, in einer Debatte mit Corenn gelandet zu sein, in der er ohnehin nicht das letzte Wort behalten konnte. Doch Lana war nicht Corenn. Die Ratsfrau setzte ihr diplomatisches Geschick ein, um politische oder ökonomische Entscheidungen zu beeinflussen, während es der Priesterin um religiöse Überzeugungen ging. Noch dazu hatten sie ganz unterschiedliche Methoden.
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Es würde mich schon freuen, wenn die Menschen die Natur höher achten würden.« Er deutete auf die umliegende Landschaft.
»Nun, dann seid Ihr auf Eure Weise ein Anhänger der Eurydis«, schloss Lana. »Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, mich in Eure Überzeugungen einzumischen. Ich wollte Euch nur darauf aufmerksam machen, dass sich unsere Glaubensformen sehr ähnlich sind. Sie gehen beide in dieselbe Richtung.«
»Und die wäre?«
»Das universelle Streben nach Moral natürlich. Wissen, Toleranz, Frieden. Diese Werte verteidigt Ihr, Grigán, auch wenn Ihr Euch dessen nicht bewusst seid. Ihr helft der Menschheit, sich weiterzuentwickeln. Es heißt, dass die Göttin ein drittes Mal in dieser Welt erscheinen wird, um uns zu helfen, den letzten Schritt zu tun. Dann werden die Menschen im Einklang mit ihren Schöpfern und allen irdischen Wesen und Dingen leben. Im Laufe der Zeit werden Menschen und Götter eins werden, bis es nur noch eine
Form vernunftbegabter Wesen gibt, die weder Leid noch Gier noch Grausamkeit noch eines der anderen Übel kennen, die unsere Seelen vergiften. Diese strahlende Zukunft nennen wir das Zeitalter von Ys. Findet Ihr nicht auch, dass Eure Überzeugungen dort Ihren Platz haben? Meint Ihr nicht, dass die Achtung, die Ihr einem Baum oder einem Bach entgegenbringt, uns dieser seligen Zeit einen Schritt näher bringt?«
»Das kann schon sein«, antwortete Grigán, der sich etwas überrumpelt fühlte. »Aber wenn man die Eurydisverehrung so sieht, dann ist sie im Prinzip mit allen Religionen der Welt vereinbar. Das erscheint mir zu einfach.«
»Nicht mit allen Religionen, Grigán«, widersprach Lana. »Mit allen Moralreligionen, das ja. Aber welchen Platz gäbe es Eurer Meinung nach für die Züu, wenn das Zeitalter von Ys anbricht? Was geschähe mit Phrias’ Anhängern? Oder mit den Valiponden?«
Lana brach ihre Aufzählung ab, weil sie merkte, dass sie in Zorn geriet. Toleranz lautete das Gebot der Göttin. Das Streben nach Moral würde sehr lange dauern, denn die Menschen würden viel Zeit brauchen, um die schwarzen Götter zu vergessen. Die Maz waren geduldig … Doch indes mordeten die Boten Zuïas, quälten die Jünger des K’lur ihre Sklaven, brachten die Töchter Soltans ihre grausigen Opfer dar, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Wie viele Jahrhunderte noch?
Hatte Maz Achem nicht vielleicht doch recht gehabt, als er einen Kreuzzug gegen die
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