Götter der Nacht
Dämonistenkulte forderte? Und was barg das Jal’dara?
Lana war verwirrt. Mit einem Mal kamen ihr Zweifel an manchen Grundsätzen der eurydischen Lehre. Und wenn alles ein Irrtum war? Wenn das Zeitalter von Ys niemals käme?
Grigán bemerkte ihren Kummer. Nun war er es, der sich etwas unbeholfen bemühte, sie zu trösten. »Manchmal fühlt man sich furchtbar hilflos, nicht wahr?«, sagte er unsicher.
Lana nickte stumm. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch es gelang ihr, sie zurückzudrängen.
»Rey hat uns erzählt«, fügte er hinzu, schon halb im Aufstehen, »dass Ihr Witwe seid. Stimmt das?«
Sie nickte noch einmal, ohne aufzublicken. Sie würde sich nicht mehr lange beherrschen können.
»Mein Beileid«, sagte Grigán und brach zu einem neuen Rundgang auf. Als er schon fast im Schutz der Dunkelheit verschwunden war, fügte er hinzu: »Auch ich bin Witwer. Ich habe meine Frau verloren. Aber behaltet das für Euch. Ich wollte Euch nur sagen, dass man alles irgendwann vergessen kann.«
Kaum allein, ließ Lana ihren Tränen freien Lauf. Grigán fragte sich, ob es richtig gewesen war, zu lügen. Denn manche Wunden schmerzten noch nach zwanzig Jahren.
Rey fand, dass die Darbietung der Gaukler zu den besten gehörte, die er je gesehen hatte, und seine Freunde pflichteten ihm bei. Alle Artisten beherrschten ihre Kunst perfekt … Fast alle, wie sich bald herausstellen sollte.
Den Anfang machte die Feuerschluckerin, die nicht nur Feuer spie, sondern auch über glühende Kohlen lief, sich Nadeln in die Haut steckte und andere Quälereien auf sich nahm, ohne dass sie den geringsten Schmerz zu spüren schien.
Indes begleiteten die Spaßmacher ihr Martyrium mit übertrieben fröhlichen oder grässlichen Grimassen, um
die Menge im richtigen Augenblick zum Lachen zu bringen oder für gespannte Stille zu sorgen. Die Zuschauer applaudierten und johlten so laut, dass immer mehr neugierige Passanten herbeiliefen.
Daraufhin setzte Nakapan der Koloss zu einer Rede an, die Corenn den Erben übersetzte.
»Wie viel ist den Bewohnern der schönen Stadt Dessin die Fortsetzung unserer Vorstellung wert?«, fragte er das Publikum. »Wir sind an Königshöfen aufgetreten. Wir sind vor den Groß-Emaz Odrels aufgetreten. Gern treten wir auch vor Euch auf, edle Bürger von Dessin. Doch die Kunst allein ernährt uns nicht …«
Während er sprach, streiften die Gaukler mit dem Klingelbeutel durch die Menge. Dabei nahmen sie besonders wohlhabend aussehende Zuschauer aufs Korn und machten die Drückeberger aus, die sich nur ein paar Schritte entfernten, um bei der nächsten Nummer wieder ins Publikum zurückzukehren. So wussten die Spaßmacher sofort, wen sie sich später vorknöpfen würden.
Einer der Zwergclowns zeigte Nakapan den Inhalt des Klingelbeutels, der prompt für ungenügend befunden wurde. Die Spannung war wohl noch nicht groß genug.
»Wir haben einen Wolfsbändiger und einen Affendompteur«, verkündete er feierlich. »Wir haben einen Jongleur, der zu den geschicktesten seiner Zunft gehört. Wir haben Kampfakrobaten, deren Duelle Euch den Atem rauben werden. Wir haben den mächtigsten Zauberer der bekannten Welt«, erklärte er und wies auf den Mann in Schwarz. »Edle Bürger von Dessin, wollt Ihr unsere Vorführung sehen?«
Die Gaukler drehten eine weitere Runde durch das Publikum, die nicht die letzte während der Vorstellung sein würde.
Diesmal war Nakapan mit der Summe zufrieden und kündigte die nächste Nummer an.
Damit war der große Moment für Anaël gekommen, oder vielmehr für seinen Wolf. Merbal begeisterte das Publikum mit verschiedenen Kunststücken: Er lief auf den Hinterbeinen, stellte sich tot und meisterte andere schwierige Aufgaben, indem er etwa einen bestimmten unter mehreren Bällen auffing.
Anaël gestaltete seine Nummer mit Humor und spielte mehr mit seinem Wolf, als ihn zu Kunststücken anzutreiben. Wer die beiden nicht kannte, dem kam das Tier wie eine furchterregende Bestie vor. So traute sich auch keiner der Zuschauer, eine Hand in sein Maul zu legen, als Anaël sie dazu aufforderte. Schließlich meldete sich Léti, die sich freute, für kurze Zeit etwas zu der Vorstellung beizutragen.
Nachdem die Kunstreiter ihr Können unter Beweis gestellt hatten, war Nakapan an der Reihe. Der Koloss verbog zunächst einige Metallstangen, eine dicker als die andere, wobei ihm der Schweiß übers Gesicht lief. Dann lud er die Zuschauer ein, im Ringen gegen ihn anzutreten, und gewann
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