Götter der Nacht
Macht der Natur konnte selbst der ungeduldige Krieger nichts ausrichten. In der Tat dauerte es nicht einmal eine Dezime, bis die Fuhrwerke in dichtem Nebel verschwanden. Corenn riet den anderen, sich nicht vom Lager zu entfernen, aber das hätte ohnehin niemand gewagt.
Bis zum Einbruch der Nacht vertrieb sich jeder die Zeit auf seine Weise. Corenn und Lana suchten sich einen ruhigen Ort, um ihre Theorien über das Gedicht von Romerij zu besprechen. Grigán und Léti schlugen den Kampfakrobaten vor, sich zu Übungszwecken mit ihnen zu messen, und die anderen beschlossen, diesem vielversprechenden Kampf beizuwohnen.
Die beiden Gaukler, der Mann mit den Säbeln und sein Gegenspieler mit dem Speer, bildeten sich auf ihr Können so viel ein, dass sie die Herausforderung nicht besonders
ernst nahmen. Sie wurden schnell eines Besseren belehrt. Nachdem Grigáns und Létis Angriffe zunächst zurückhaltend, ja fast schüchtern ausgefallen waren, wurden sie rasch immer schneller und gefährlicher. Die beiden hatten die ersten Attacken und Paraden dazu genutzt, die Bewegungen der Akrobaten genau zu studieren.
Der Anblick des Kriegers und der jungen Frau, die Seite an Seite kämpften, hätte selbst die größten Aufschneider verstummen lassen. Mit ihrer schwarzen Lederkluft und dem gleichen konzentrierten Gesichtsausdruck griffen sie manchmal genau im selben Moment an, als führten sie eine lang geprobte Choreografie vor. Das geringschätzige Lächeln der Akrobaten wich immer verkrampfteren Mienen. Wie konnten es diese Fremden wagen, alte Hasen wie sie herauszufordern?
Auch wenn die Treffer nur angetäuscht waren, bedeuteten sie eine Demütigung. Léti wurde zweimal ›verletzt‹, ebenso wie der Mann mit dem Speer. Den Säbelkämpfer erwischte es mit vier Treffern am schlimmsten. Nur Grigán gab sich keine einzige Blöße. Da der Mann mit den Säbeln immer wütender wirkte, hielt er es für besser, das Scheingefecht zu beenden, bevor es aus dem Ruder lief.
Bowbaq und Rey beglückwünschten die Sieger lauthals, und Yan fiel in ihren Jubel ein, während sich die Gegner höflich die Hände schüttelten. Léti rammte ihr Rapier in den Boden, lief zu ihren Freunden und fiel dem völlig verdatterten Yan um den Hals.
Er erwiderte die Umarmung, ohne zu begreifen, wie er zu diesem Glück kam. Aber das war ihm so egal wie der pelzige Hintern eines Margolins. Sie lagen sich in den Armen und zögerten den Moment lange hinaus, bis sich Léti mit
einem Lächeln von Yan löste und wieder zu Grigán lief, um die Übungsstunde fortzusetzen.
»Mit deiner weißen Haarsträhne und dem roten Gesicht könntest du glatt als Spaßmacher durchgehen«, zog Rey ihn auf.
Yans Blick wanderte von Léti zu seinen Freunden, und er errötete noch mehr. Rey zwinkerte ihm vielsagend zu, während Bowbaq ihm ein strahlendes Lächeln schenkte. So dumm war sich Yan schon lange nicht mehr vorgekommen.
»Sie freut sich, dass sie gewonnen hat«, erklärte er verlegen und wies auf Léti.
»Das haben wir gesehen«, sagte Rey spitzbübisch.
Yan bereute, sich auf einen Wortwechsel mit Rey eingelassen zu haben. So hatte er sich freiwillig zur Zielscheibe anzüglicher Scherze gemacht. Genau davor hatte er sich schon in Eza gefürchtet, sechs Dekaden zuvor - in einer fernen Vergangenheit. Er beschloss, lieber den Mund zu halten.
Rey wandte sich Corenn und Lana zu, die in zwanzig Schritt Entfernung auf niedrigen Schemeln an einem Lagerfeuer saßen. Die Diplomatin und die Moralpriesterin beugten sich, ganz in ihr Gespräch vertieft, über ein Stück Pergament. Offenbar waren sie sich nicht ganz einig, trugen aber ruhig und dennoch nachdrücklich ihre Argumente vor. Der Schauspieler hörte nicht, was sie sagten. Er hatte nur Augen für Lana.
Er stellte sich neben Yan, der gedankenverloren dem nächsten Kampf zusah, und flüsterte ihm ins Ohr: »Warum bittest du sie nicht endlich um ihre Hand?« Er meinte es vollkommen ernst.
Yan schluckte und sah Rey verblüfft an. Es war das erste
Mal, das ihn jemand so unvermittelt darauf ansprach. »Der Tag des Versprechens ist vorbei«, hörte er sich mit dünner Stimme sagen. »Nächstes Jahr …«
»Oder übernächstes? Warum nicht jetzt?«
»Warum …« Der junge Mann war sprachlos.
Rey hatte recht. Ja, warum eigentlich nicht? Hier, im Klammen Tal, im Kreis ihrer Freunde? Verloren im Nebel, in Gesellschaft einer romischen Gauklertruppe, nur aus einem einzigen Grund, dem besten aller Gründe: weil er es wollte?
Warum
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