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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Gegenwart: Nach einer vier Dekaden währenden gefährlichen Reise waren sie alle noch am Leben. Auch wenn die Zukunft ungewiss war, schien es doch zumindest so, als würden die Gefährten sie gemeinsam erleben.
    Mit gespieltem Interesse hörte sie zu, wie Lana vom Spektakel der Gaukler schwärmte. Die Nummer der Spaßmacher, die das Publikum verspotteten, war die einzige, die der Priesterin nicht gefallen hatte. Die Akrobaten, die Kunstreiterinnen, Cavale der Jongleur, Anaël und sein Wolf und das große Finale, das der Heiler Deremïn mit seiner Gehilfin bestritt, hatten sie gleichermaßen entzückt. Sie
fand es nur schade, dass die anderen die Vorstellung verpasst hatten.
    Natürlich war Deremïn kein richtiger Magier, aber er gaukelte den Leuten allerlei wundersame Dinge vor. So ließ der Rominer vor den Augen des Publikums Gegenstände verschwinden, und sein Lieblingstrick bestand darin, verblüfften Zuschauern ihre Habseligkeiten zurückzugeben, welche die Spaßmacher ihnen zuvor unbemerkt entwendet hatten. Deremïn gab unverblümt zu, dass er sich mit den Geldbörsen derjenigen, die vor dem Ende der Vorstellung gingen, ein Zubrot verdiente.
    In Semilia nahm Nakapans Truppe meist nicht viel ein, doch dass sie in der Stadt auftraten, war ein alter Brauch, eine Art ungeschriebenes Gesetz. Auf diese Weise dankten sie dem Fürsten für den freien Wegezoll und die Übernachtungsmöglichkeit in der freien Herberge, denn schließlich konnte er ihnen diese Rechte jederzeit verwehren.
    Der Ruhetag, den sie hauptsächlich vor dem Kamin verbrachten, tat den Reisenden gut, und die Zeit verging wie im Fluge. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erwachten Yan und Grigán im Abstand von wenigen Dezillen, und ihre Freunde berichteten ihnen von den Qualen, die sie durchlitten hatten. Beide waren wieder ganz und gar bei Kräften, und so verspürten sie keine Müdigkeit, als ihre Freunde, die den Tag mit allerlei Beschäftigungen verbracht hatten, schlafen gingen.
    Die beiden unterhielten sich bis tief in die Nacht, und Grigán erzählte Yan von seinen Reisen. Behaglich saßen sie beisammen, ganz so, als stünden sie nicht auf der Todesliste der Züu, als würden sie weder von der Großen Gilde gesucht noch von einem unbesiegbaren Dämon und einem Mann mit unermesslichen Kräften gejagt. Als wären sie einfach
nur zwei Freunde, die Pläne für die Zukunft schmieden konnten.
    Mehrmals stand Yan kurz davor, Grigán die Wahrheit über sein Schicksal zu sagen, aber er fand nicht den Mut. Eigentlich wollte er sich nur die Last von der Seele reden, und das reichte als Grund nicht aus. »Fühlt Ihr Euch immer noch krank?«, fragte er unbeholfen.
    »Ich weiß nicht … Nein, ich glaube nicht«, sagte Grigán nach kurzem Nachdenken. »Warum? Sehe ich so aus?«
    »Nein … Ich habe mich nur gefragt, wie wir wissen können, ob Ihr geheilt seid …«
    Mehr musste er nicht sagen. Grigán wusste, dass er jederzeit einen neuen Anfall bekommen konnte. Einen Anfall, der vielleicht schwerer sein würde als alle bisherigen. Und keiner von ihnen konnte etwas dagegen tun.
     
     
     
    Gaukler und Erben verließen Semilia im Morgengrauen. Ihre gemeinsame Reise neigte sich dem Ende zu. Am Abend würden sich ihre Wege trennen: Grigán und die anderen würden in die Heilige Stadt reisen, während Nakapan und seine Truppe in Le Pont blieben, um auf dem Jahrmarkt aufzutreten.
    Alle waren traurig, zum letzten Mal zusammen unterwegs zu sein, denn obwohl die Rominer den Gefährten noch wenige Tage zuvor die kalte Schulter gezeigt hatten, hatten sie mittlerweile Freundschaft geschlossen. Die Erben würden die Gaukler vermissen, vor allem Anaël und seinen Wolf, Cavale den Jongleur, Nakapan den Koloss und selbst den falschen Magier Deremïn, der sich als angenehmer und humorvoller Zeitgenosse entpuppt hatte. Seit dem Zwischenfall mit dem Affendompteur hatte dieser
sich nicht mehr blicken lassen, und das war den Gauklern nur allzurecht.
    Die Bergstraße, die sich von Semilia hinab nach Le Pont wand, war sehr viel wegsamer als der Pfad, der in die Festungsstadt hineingeführt hatte: breiter, besser befestigt und nicht besonders steil. Weit vor Mit-Tag passierten sie die letzte Schneewehe und zogen bald durch grasbewachsene Hügel, auf denen nur noch vereinzelte Felsbrocken aufragten. Auch wenn es immer noch kalt war, konnten sie nun zumindest wieder in den Wagen sitzen und die Landschaft genießen, statt sich durch zwei

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