Götter der Nacht
Fuß tiefen Schnee kämpfen zu müssen.
Den ganzen Tag über weigerte sich Grigán standhaft, von seinem Pferd abzusitzen. Lana schlug immer wieder vor, er solle sich in einen der Wagen legen, doch das wäre ihm wie ein Eingeständnis von Schwäche vorgekommen. Zumal es ihm blendend ging, wie er den anderen immer wieder versicherte. Corenn, die ihn schon länger kannte, versuchte gar nicht erst, ihn zur Vernunft zu bringen. Gegen Grigáns Stolz war selbst ihre Überredungskunst machtlos.
Dank der erzwungenen Ruhepause in Semilia waren die Pferde ausgeruht und schritten nun munter aus. Wenn nichts dazwischenkam, würden sie Le Pont um den fünften Dekant herum erreichen, viel früher, als Nakapan geplant hatte - sehr zu seiner Freude.
Doch als dem Konvoi zwei Wagen entgegenkamen, die denen der Gaukler ähnelten, geschah etwas Unvorhergesehenes. Nakapan grüßte die acht Reisenden, die ebenfalls zur Bruderschaft der Gaukler gehörten. Die beiden romischen Familien hatten jedoch schlechte Nachrichten.
»Ihr müsst umkehren«, sagte einer der Männer mürrisch. »Die Königsbrücke ist gesperrt!«
»Man hat Euch nicht durchgelassen?«, fragte Nakapan überrascht.
»Da wimmelt es nur so vor Soldaten! Man könnte meinen, es wäre Krieg!«
Mittlerweile waren die Wagen zu weit voneinander entfernt, um sich zu verständigen. Grigán, der jedes Wort mitbekommen hatte, beriet sich mit dem Anführer der Gaukler. Als sie nicht weiterwussten, zogen sie Corenn zu Rate.
Die Königsbrücke, das Wahrzeichen der lorelischen Stadt Le Pont, war von den Rominern zur Zeit der Zwei Reiche gebaut worden. Mit dem Palast der Freiheit in Goran und der Hamsa-Statue in Cyr-la-Haute gehörte sie zu den drei größten menschlichen Bauwerken der bekannten Welt. Die Brücke überspannte eine mehr als zwölf Meilen lange Schlucht, die an dieser Stelle sechshundert Schritte breit und vierhundert tief war. Die Schlucht auf Bergpfaden zu umgehen, würde sie mindestens drei Tage kosten. Drei Tage … Für gerade einmal sechshundert Schritt Luftlinie.
Die Brücke, die nur aus Holz gebaut war, hatte keine Stützen, denn es war ganz einfach unmöglich, vierhundert Schritte hohe Pfeiler zu bauen. Die Schlucht war auch zu breit für eine Seilbrücke, denn eine solche hätte nicht einmal ihr eigenes Gewicht tragen können. Deshalb waren die Rominer auf die Idee gekommen, die Brücke zwanzig Schritte unter den Rand der Schlucht zu setzen und sie mit dicken Tauen in der Felswand zu verankern. Das einzigartige Bauwerk war von herausragender strategischer Bedeutung. Die Lorelier, welche die Königsbrücke von den Rominern übernommen hatten, hüteten sie wie ihren Augapfel.
Die Benutzung war lorelischen Soldaten und Edelleuten vorbehalten, doch dank der jahrhundertealten Tradition
des freien Wegezolls durften auch Gaukler und Boten aus aller Herren Länder sie überqueren. Dieses Vorrecht war allerdings nur eine Gefälligkeit, die der König ihnen jederzeit verwehren konnte - was soeben geschehen war.
»Wir können es uns einfach nicht leisten, drei Tage zu verlieren«, sagte Grigán mürrisch. Deutlicher konnte er in Nakapans Gegenwart nicht werden.
Mit jedem Umweg verloren die Erben Zeit, während Saat seine finsteren Pläne vorantrieb.
»Ist Euch die Überquerung der Schlucht schon einmal verweigert worden, Meister Nakapan?«, fragte Corenn nachdenklich.
»Noch nie. Die Soldaten zieren sich manchmal eine Weile, aber nur, um ihren Sold aufzubessern. Bei Odrel, ich habe diese Brücke schon über zwanzig Mal benutzt.«
»Selbst ich habe sie schon zweimal überquert«, sagte Grigán. »Ich musste mich nur als Bote ausgeben. Für gewöhnlich sehen die Wachen nicht genauer hin. Wenn sie die Brücke gesperrt haben, muss etwas Schlimmes passiert sein.«
Corenn sah nach dem Stand der Sonne, um abzuschätzen, wie viel Zeit ihnen noch bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb. »Sind wir noch weit von dieser Brücke entfernt?«
»Ungefähr zwei Meilen«, antwortete Nakapan. »Vielleicht etwas weniger.«
»Das ist nicht weit. Dann schadet es nicht, es zu versuchen. Außerdem erfahren wir so wenigstens den Grund für die Anwesenheit der Soldaten«, fügte sie hinzu und warf Grigán einen vielsagenden Blick zu.
Der Krieger teilte ihre bösen Vorahnungen.
Lorelien, das freiheitsliebendste Land der Oberen Königsreiche, schloss seine Grenzen. Das konnte ein erstes
Anzeichen dafür sein, dass Saat seinen unheilvollen Plan in die Tat umsetzte.
Um
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