Götterdämmerung
vielleicht. Nicht für mich.«
Damit nahm sie ihre Gabel in die Hand und begann, die Spaghetti aufzuwickeln. Mears musterte sie schweigend, dann wandte er sich seiner Suppe zu. Eine Zeit lang aßen sie still, dann fragte Beatrice, und war selbst ein wenig verwundert, es wirklich wissen zu wollen:
»Hast du dir je etwas anderes gewünscht außer Erfolg?«
»Loyalität«, erwiderte er, und sie war vage enttäuscht. Natürlich. Ein weiterer Seitenhieb hinsichtlich ihrer mangelnden Loyalität zum Konzern. Er überraschte sie damit, ihr Schweigen richtig zu deuten, und fügte hinzu, ohne seinen Löffel abzusetzen:
»Ich meine nicht die Loyalität zu Livion. Ich meine die Loyalität mir gegenüber.«
Beatrice musterte ihn nachdenklich und legte ihre Gabel nieder.
»Ich glaube, du meinst nicht Loyalität«, sagte sie langsam. »Ich glaube, du meinst Respekt.«
Das Wort stand zwischen ihnen, wie eine Libelle über einem See, deren Farbe und Absicht man nicht ausmachen kann. Unwidersprochen. Er protestierte nicht; stattdessen hörte er auf zu essen und erwiderte ihren Blick, nicht spöttisch, nicht herausfordernd. Es berührte sie auf eigenartige Weise.
»Aber du wirst respektiert, Warren. Ich meine, du hättest diesen Job nicht, wenn man dich nicht achten würde, und selbst mein Vater respektiert dich als Wissenschaftler. Das heißt nicht, dass jedermann mit deinen Methoden einverstanden ist, doch der Respekt ist überall vorhanden.«
Er schüttelte den Kopf.
»Wirklicher Respekt schließt Vertrauen mit ein. Vertrauen darauf, dass ich die richtigen Entscheidungen treffe. Wirklicher Respekt bedeutet«, er sah sie an, und zum ersten Mal empfand sie dabei nicht die übliche Mischung aus Feindseligkeit und williger Ehrfurcht vor seinen Fähigkeiten, »wie ein Mensch behandelt zu werden statt wie ein Gegenüber beim Tischtennis.«
Es gab manches, was sich darauf erwidern ließ. Aber womit sie herausplatzte, war das Erste, was ihr in den Sinn kam.
»Du glaubst, wir spielen Tischtennis?«
»Wir haben nie etwas anderes getan.«
Es wunderte Beatrice nicht, auf dem Weg zurück zur Arbeit von Tess abgefangen zu werden. Tess hakte sich bei ihr ein und fragte aufgeregt:
»Was war denn das heute, Kleines? Mag ja sein, dass Liebe Flügel verleiht, aber doch nicht Immunität. Du kannst doch nicht wegen Warren ein Mittagessen in der Sonne riskieren.«
Im ersten Moment empfand Beatrice nichts als tiefe Erleichterung. Tess war ahnungslos, sie wusste nichts von der Täuschung hinsichtlich ihrer Lichtallergie und nichts über ihren Ursprung. Aber sofort mischte sich neues Misstrauen in ihre Erleichterung: Was, wenn Tess nur so tat, um sie zu prüfen? Ein hässliches Gefühl, Freunde durch die Brille des Argwohns zu betrachten. Sie kämpfte mit sich, ob sie wenigstens das Missverständnis in Sachen Mears aufklären sollte, und entschied sich dann mit einer Mischung aus Scham und Pragmatismus dagegen. Solange Tess an eine Romanze mit Mears glaubte, würde Beatrice immer eine Ausrede zur Verfügung stehen, und bestätigt hatte sie es ja nicht. Es war also keine richtige Lüge, nur eine Auslassung.
»Ich nehme seit einiger Zeit ein neues Medikament«, sagte sie. »Nur habe ich bisher noch niemandem davon erzählt, weil ich nicht wusste, wie es wirkt, aber bis jetzt funktioniert es, und ich bin nun so weit, dass ich jeden Tag etwas länger natürlichem Licht ausgesetzt sein kann.«
»Schatz, das ist doch wunderbar! Wie heißt es?«
»Phobaton«, erwiderte Beatrice ohne zu zögern. Sie hatte den Namen an Ort und Stelle erfunden, aber wenn Tess ihr nichts vormachte, würde sie keinen Grund haben, das zu überprüfen.
»Und Warren? Du schuldest mir noch ein paar Details«, sagte Tess und versetzte ihr einen kleinen Rippenstoß.
»Er hat mich heute überrascht«, entgegnete Beatrice wahrheitsgemäß.
»Angenehm oder unangenehm?«
»Das ist einfach zu vertraulich, Tess«, sagte Beatrice, gebrauchte jedoch einen beschwichtigenden Tonfall. Tess schmollte, fand sich aber damit ab, nicht ohne etwas darüber zu murmeln, dass Beatrice diese Zurückhaltung mit etwas mehr Erfahrung in der Liebe schon noch abhanden kommen würde.
Beatrice erledigte ihre Arbeit so schnell wie möglich. Sie versuchte ihren Vater über sein Handy zu erreichen, musste sich jedoch damit abfinden, dass er nicht antwortete. Die Chipanalyse ihres Blutes und ihrer Speichelabstriche lief immer noch, weil sie beides gegen eine ganze Reihe von pharmazeutischen
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