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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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dankbar für Deirdres Beruf und die Privilegien, die er mit sich brachte. Außerdem würde er bald so weit sein, an die Öffentlichkeit gehen zu können, und war das einmal geschehen, waren Drohungen ohnehin überflüssig.
    Der Zorn auf Sanchez, auf Livion, auf James T. Armstrong, die alte Wut auf die Mächtigen dieser Welt, die durch das Zusammensein mit Beatrice vorübergehend eingeschläfert worden war, meldete sich wieder.
    »Willst du meine Theorie über deinen Vater hören?«, fragte er abrupt. Sie wich seinem Blick nicht aus und nickte.
    »Fangen wir mit etwas Grundsätzlichem an. Unternehmen wollen Profit. Gerade und vor allem Firmen der Pharmaindustrie. Da taucht nun Anfang der achtziger Jahre ein ganz neuer Markt auf. Eine neue Krankheit, vor der die Menschen Angst haben wie vor nichts mehr seit der Beulenpest. Die staatlichen Zuschüsse wachsen und wachsen, bis auf achtzig Prozent des Gesamtbetrags, aber auch die Gewinne durch die Mittel, die den Verlauf der Krankheit verzögern, sind beträchtlich. Nur etwas gibt es nicht: ein wirkliches Gegenmittel. Zugegeben, dieses ständig mutierende Retrovirus ist ein harter Brocken, aber Livion hat einen wirklich genialen Wissenschaftler unter Vertrag, schon als er noch ein junger Spund direkt aus Kuba war. Und das Genie, das ein paar frühe Fälle untersucht, findet tatsächlich ein Mittel. Nur fällt dann ein paar Köpfen in der Zentrale, die rechnen können, ein, dass verzögernde Mittel über viele Jahre verteilt sehr viel mehr Gewinn einbringen werden als etwas, das die Krankheit ein für alle Mal besiegt. Und Zuschüsse für die Forschung gäbe es auch nicht mehr. Peinlich, aber nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Das Genie hat mehr geleistet, als es leisten sollte.«
    Er wurde sich bewusst, dass er immer noch ihre Hände hielt, und zog die seinen zurück. Sie fühlten sich mit einem Mal kalt und leer an.
    »Aber da gibt es eine Lösung. Er hat schließlich noch andere Projekte im Kopf, an denen er arbeiten möchte und für die es nur leider wegen der staatlichen Auflagen und der Gesetze keine Genehmigungen gibt. Also bietet man ihm einen Deal an: Er verpflichtet sich dazu, über seine Entdeckung zu schweigen, und im Gegenzug erhält er die schönste Spielzeugeisenbahn von einem Labor, die je ein junger Forscher sein Eigen nennen durfte. Mit allen Schikanen, und ohne lästige Kontrollen, außer durch die Firma selbst. Da er und seine Frau Probleme mit dem Kinderkriegen haben, darf er diese Schwierigkeit auch gleich auf seine Art und Weise lösen, aber das ist nur ein zusätzlicher Bonus.«
    In ihr Schweigen hinein hörte er den letzten Refrain von It’s a Sin ausklingen. Danach wurde das leise Rauschen der Klimaanlage durch nichts mehr aufgefangen; die Gespräche der anderen Besucher waren gerade verstummt.
    »Du übersiehst da einiges«, sagte Beatrice, langsam, als taste sie sich Wort für Wort durch ein Labyrinth, dessen Ausmaß sie selbst kaum erkennen konnte. »Ein wirksames endgültiges Gegenmittel könnte nur ein Impfstoff sein, und ein Impfstoff sichert praktisch mit jedem Neugeborenen Profit, weil es sicher bald Pflicht würde, sich impfen zu lassen, so wie früher mit der Pockenimpfung. Ob das wirklich weniger Geld wäre, als die momentanen Mittel einbringen, müsste ich nachrechnen, aber ich glaube eher nicht. Selbst wenn Livion diese Meinung vertreten hätte, dann hätte er zu Pfizer gehen können oder zu einem anderen Pharmakonzern.«
    »Aber hätten die ihm auch ein Labor in Alaska gebaut und die staatlichen Kontrollen vom Hals gehalten? Das allein muss schon sehr teuer gewesen sein.«
    »Er hätte es nicht getan«, entgegnete Beatrice und hob die Hand, als er zu einer heftigen Erwiderung ansetzte. »Warte, lass mich ausreden. Ja, er hat offenbar mehrere Dinge getan, derer ich ihn nicht für fähig gehalten habe. Aber mir die Wahrheit über mich selbst zu verschweigen und mich zu belügen, ist eine Sache; das betrifft nur ihn und mich. Ein so wichtiges Medikament der Menschheit vorzuenthalten, das ist etwas ganz anderes. Dazu ist er nicht fähig. Ich… ich kann nicht glauben, dass alles, was ich über meinen Vater weiß, eine Lüge sein soll.«
    Neil lag einiges auf der Zunge. Schließlich bemerkte er: »Das könnte zu einem schmerzhaften Erwachen führen, Beatrice.«
    »Vielleicht«, sagte sie. »Aber so schnell gebe ich keinen Menschen auf. Auch wenn ich wütend bin und finde, dass er mir eine Erklärung schuldet. Wenn man deinen Kindern

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