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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Substanzen und Viren testete, aber bis auf eine höhere Immunität und die schnellere Bildung von Antikörpern ließ sich noch kein schlüssiges Ergebnis ableiten, das ihr mehr verraten hätte, als sie schon wusste. Sie sicherte alles sorgfältig, dann kehrte sie in den Wohnbereich zurück, zog sich rasch um und rieb sich mit dem Sonnenschutzöl ein, das Neil ihr besorgt hatte.
     
    Billy, der Dienst tuende Hausmeister, war sehr überrascht, als sie ihn um eines der Fahrräder bat. Noch nicht einmal sechs Uhr abends; um diese Uhrzeit hatte er sie noch nie nach draußen gehen sehen.
    »Aber können Sie denn überhaupt mit dem Ding umgehen, Miss B.?«
    »So ganz anders als das im Trainingsraum kann es ja nicht sein.«
    Die Balance zu halten, erwies sich dann doch als nicht ganz so leicht, wie sie es sich vorgestellt hatte, aber nach einigem Üben drehte sie ihre Runden, ohne zu stürzen, und fühlte sich dabei wie eine Königin. Dann machte sie sich auf den Weg in Richtung Tor. Hin und wieder klatschten ihr Mücken ins Gesicht, doch das störte sie nicht. Der Fahrtwind auf ihrer Haut, die Sonne auf ihrem Gesicht, all das vereinte sich zu einem Gefühl der Freiheit, das ihr den Kopf verdrehte.
    Vor den alten Bahngleisen wartete Neil schon auf sie. »Du musst dir auch ein Rad besorgen«, sagte sie atemlos. »In Seward haben sie bestimmt welche zum Ausleihen.«
    »Bestimmt«, sagte er und seine Mundwinkel zuckten. Dann wurde er wieder ernst.
    »Hast du mit deinem Vater gesprochen?«
    Etwas von ihrem Überschwang verließ sie, und sie fasste das Wichtigste für ihn zusammen.
    »Das ist… unerwartet. Aber ich habe auch Neuigkeiten für dich.« Neil nahm ihr Rad und verstaute es, so gut es ging, im Laderaum des Autos. »Meine Aufzeichnungen sind alle hier. Es besteht kein Grund, warum ich nicht in Alaska weiterschreiben sollte.« Er lächelte sie an. »Das Land hat seine Reize.«
    »Oh, ich bin sicher, die Seelöwen werden dankbar sein«, scherzte sie und hielt inne. Jemanden durch eine E-Mail oder im Chat aufzuziehen, war eine Sache; es bei einem leibhaftigen Gegenüber zu versuchen, eine andere. Erst recht bei einem Mann. Einem gut aussehenden Mann mit Kindern und geschiedener Ehefrau, an der er den gelegentlichen Bemerkungen nach zu schließen noch genug hing, um eines Tages den Weg zu ihr zurückzufinden.
    Er schien ihre plötzliche Verlegenheit nicht zu bemerken. »Das will ich hoffen«, erwiderte er trocken. »Aber ganz im Ernst, ich bleibe hier.«
    »Bis mein Vater zurückkommt?«, fragte sie vorsichtig.
    »Nun, bis er mir eine Erklärung gegeben hat oder sie endgültig verweigert. Beides bietet einen guten Abschluss, und glaub mir, das Ende einer Geschichte ist manchmal so schwer zu finden wie der Anfang. Aber das heißt nicht, dass ich danach abreisen werde. Wie gesagt, die Verhältnisse hier sind… inspirierend. Welcher Schriftsteller wünscht sich nicht, der Tag möge mehr Stunden haben?«
    Er öffnete die Tür der Beifahrerseite für sie, und sie stieg ein. »Was würdest du tun«, fragte er, »wenn dein Vater nach einer Woche oder zwei immer noch nicht zurück ist?«
    »Selbst, wenn Livion ihn zwänge, fortzugehen, in ein anderes Labor der Firma, dann muss er doch zurückkommen, um seine Sachen zu holen und um mit mir über seine Pläne zu sprechen.«
    »Aber er hat dir nichts von seiner Reise verraten, oder? Außerdem dachte ich nicht an einen neuen Arbeitsplatz. Ich will dir keine Angst machen, aber James Armstrong hat es nicht bis an die Spitze der Industrie geschafft, weil er so ein liebenswerter Mensch ist. Was ist, wenn er deinen Vater endgültig verschwinden lässt?«
    Die Straße, auf der sie fuhren, schien nur ein dünner Streifen zu sein, der Berge und Meer voneinander fern hielt. Hin und wieder sah sie Bäume, die vom letzten Sturm zerstört worden waren, braune, zersplitterte Stümpfe inmitten des hellen Grüns.
    »Neil, ein Szenarium, in dem Livion ein nicht genügend getestetes Heilmittel auf den Markt bringt oder Experimente durchführt für etwas, was vom Gesetz her verboten ist, das nehme ich dir ab. Aber das heißt nicht, dass die Firma imstande ist, Menschen zu entführen oder umbringen zu lassen! Nicht meinen Vater und nicht deine Kinder.«
    »Meine Kinder sind sicher, weil ihre Mutter Stabschefin eines Senators ist und das Recht auf Leibwächter hat, wenn sie bedroht wird. Sie steht zu sehr im Licht der Öffentlichkeit, als dass die es sich leisten könnten, mehr zu tun als zu bluffen.

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