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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Neil seine Wohnung in Boston zum letzten Mal verließ.
     
    * * *
     
    Wenn sie ihre Gedanken dahintreiben ließ und dann in die Wirklichkeit zurückfand, konnte sie immer noch das Erdbeben unter sich spüren, das Erdbeben, das für sie zu dem Tor in die Freiheit geworden war, auf das sie gewartet hatte. Unsicherer, wie von Schlägen pochender Boden. Wie auf dem Boot damals. Wie auf dem Schiff jetzt. Beatrice war heiß und kalt zugleich, und sie argwöhnte, dass es nicht an dem dicken Anorak lag, den sie trug. Was auch immer Mears ihr verabreicht hatte, es waren Nachwirkungen, die weit über eine Vollnarkose hinausgingen.
    Nach dem grundlegenden Gespräch mit ihrem Vater hatte sich für beide, aber besonders für sie und ihr Leben im Labor, viel verändert. Es erschien ihr, als ob sie in einer Welt hinter Spiegeln erwacht wäre; was sie sah, war vertraut, aber nur auf verzerrte Weise, und sie konnte es nicht länger auf die gleiche selbstverständliche Art und Weise berühren. Ihr Ausweis, mit dem sie zuvor eine unbegrenzte Zugangsberechtigung hatte, war zurückgestuft worden. Sie kam nun immer häufiger an Türen, die ihre Codekarte nicht akzeptierten; die Karte galt noch nicht einmal mehr für das Haupttor. Was noch schwerer wog: Ihr war auch der Zugriff auf wesentliche Teile des Betriebssystems verwehrt.
    Erst wollte sie aufbegehren, aber gegen wen? Es erinnerte sie an einen Versuch, den eigenen Schatten zu fangen. Tony von der Sicherheit verwies sie an Mears. Mears verwies auf Vorschriften aus der Zentrale wegen ihres Umgangs mit verdächtigen Elementen, und wenn sie mit ihm redete, bildete sie sich ein, das süßliche Betäubungsmittel fast riechen zu können. Dass er sich nicht mehr die Mühe machte, sie zu bedrohen, damit sie niemandem von seiner Aktion erzählte, sprach ebenfalls Bände. Er gab die knappe Anweisung, sie solle sich bei ihm jeden Morgen und jeden Abend im Labor melden, ob mit oder ohne ihren Vater, das sei ihm gleich.
    Was sie von ihrem Vater gehört hatte, ließ auch keinen anderen Schluss zu, als dass ihr weiteres Leben sich von nun an nur noch innerhalb immer enger werdender Grenzen abspielen würde. Man erwartete, dass sie Biochips entwickelte und den Mund hielt; sonst nichts.
    Als sie ihren Computer überprüfte, hatte sie den Maulwurf in ihren Programmen schnell entdeckt. Zu schnell für ihren Geschmack. Es hatte etwas von einem beschwichtigenden Ablenkungsmanöver. Nach einem genaueren Check fand sie denn auch zwei weitere Eindringlinge auf angeblich defekten Speichereinheiten, die über den Instant Messenger und über ein im Startmenü verstecktes Programm Außenstehenden uneingeschränkten Zugriff auf all ihre Daten gaben. Die hausinternen Schutzwälle gegen Zugriffe von außen waren außer Betrieb gesetzt. Ebenso im Computer ihres Vaters. Selbst bei Tess, deren Rechner sie überprüfte, als ihre Freundin in der Kantine war, war die Software manipuliert.
    Zuerst wollte sie einen Mailbomber losschicken, um die Empfangsstation, über die der Zugriff erfolgte, mit unangeforderten Nachrichten unter der Last von Tausenden gleichzeitig dort eintreffenden Mails zusammenbrechen zu lassen. Noch ehe ihre Finger die Tasten berührten, hielt sie inne. Ihr Kopf schmerzte; hämmernde Kopfschmerzen meldeten sich seit dem Erlebnis mit Mears immer häufiger. Sie konnte sich auf diese Weise revanchieren, aber sie hätte die anderen damit gewarnt.
    Wer die anderen waren, stellte für sie bald auch kein Geheimnis mehr dar. Sie fuhr ihren alten Laptop hoch, verweigerte das angebotene Update und ging mit der Kennung von Warren Mears ins Netz. Falls auch sein Computer überprüft wurde, dann sollte sich wundern, wer wollte, wofür sich Mears auf einmal interessierte. Sie war zu einigen Hacker-Websites gesurft und fand bei einer endlich, was sie suchte, die Beschreibung des Key-Loggers, den sie in allen Computern entdeckt hatte. Mit diesem raffinierten Programm konnte der Absender jede einzelne Tastatureingabe verfolgen. »Gib’s auf«, lautete das Fazit des Hackers unter der Beschreibung. »Wenn du dieses Ding bei dir entdeckst, steckst du in größten Schwierigkeiten. Diese kleine Schönheit stammt von der National Security Agency. Wenn du die Leute aus Fort Meade auf den Fersen hast, gut bist und nicht in den Knast willst, hör sofort auf mit was auch immer du dich befasst, oder lass dich von ihnen einstellen. Die suchen immer Spitzenkräfte aus der Szene.«
    Der bittere Geschmack in ihrem Mund brachte

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