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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die Notwendigkeit kommt«, hatte er ihr am Ende der Unterredung, die sie beide nach seiner Rückkehr geführt hatten, gesagt, »wenn es nötig wird, werde ich immer dich wählen. Ich werde nicht zulassen, dass Warren noch einmal…« Das war der Moment, als er ihr die Ausweispapiere kommentarlos gegeben hatte.
    Ein Beweis, doch er schien nicht wissen zu wollen, was dieser Beweis in letzter Konsequenz bedeutete; wenn er falsche Ausweise für sie besorgte, hatte er schon sehr früh etwas davon ahnen müssen, dass sie über kurz oder lang solche Dokumente für ihre Flucht benötigen würde.
    Als ihr Vater ihr die Autoschlüssel in die Hand drückte, als sie seine trockene, gealterte Haut spürte, während um sie herum selbst das erdbebengewohnte Laborpersonal aufgeregt murmelte, brachte sie es nicht mehr über sich, ihm wegen ihrer Existenz Vorwürfe zu machen, noch nicht einmal in der Stille ihres Herzens. Ein Abschied, wenn nicht für immer, dann für eine lange, sehr lange Zeit, und sie wussten es beide. Ein Abschied, mit dem er sie freigab. Beatrice wünschte sich, sie könnte stehen bleiben und ihn umarmen, ihren Vater, denn trotz allem war er ihr Vater, der einzige Vater, den sie je gehabt hatte, und sie liebte ihn mit der Gewissheit, für immer seine Tochter zu sein.
    Aber das wäre ein ungewöhnliches Verhalten gewesen, das bestimmt aufgefallen wäre. Er hatte ihr auch von Anfang an klargemacht, dass er nicht mit ihr kommen würde. Was er tun konnte, hatte er getan, und eine Tasche mit dem Nötigsten und dem Geld befand sich anstelle des Reservereifens schon seit seiner Rückkehr in seinem Auto.
     
    Jetzt stand sie an der Reling einer Fähre nach Valdez, und der Wind, der ihr ins Gesicht blies, voll mit dem Salz der See, war wie geschaffen, um schon wieder Tränen hervorzulocken. Aber nun zu weinen, konnte sie sich nicht leisten. Sie war nicht mehr sie selbst.
    Im Wagen ihres Vaters das sonst so scharf überwachte Gelände von Livion zu verlassen, war in dem Chaos des Erdbebens leichter als erwartet. Erst später war ihr in den Sinn gekommen, dass sie an jenem Tag in größerer Gefahr durch das Beben gewesen war als durch irgendetwas anderes. Den Schweißausbruch am Steuer des Wagens führte sie nicht auf die Angst zurück, von einer vom Beben ausgelösten Steinlawine verschüttet zu werden oder auch nur die Kontrolle über das Auto zu verlieren, sondern auf das Fieber, das sie hatte, seit sie aus der Narkose erwacht war. Eigenartig, dachte sie, wo ihr doch ein Leben lang alle Krankheiten erspart worden waren.
    Bis sie mit dem Auto am Lake Hood angekommen war, dem zentralen Flughafen für all die Wasserflugzeuge, die »Alaska-Taxis«, war das Erdbeben vorbei. Sie versuchte, so etwas wie Kaltblütigkeit aufzubringen. Der Plan stand seit Tagen fest. Sie stellte den Wagen auf einem der Parkplätze ab. Man würde ihn hier sehr schnell finden und die Schlussfolgerung ziehen, dass sie mit einem der Flugzeuge irgendwo ins Landesinnere geflogen war. Es würde ein paar Tage dauern, bis man alle in Frage kommenden Piloten gefunden und verhört hatte, bei den achthundert Flugzeugen, die hier täglich starteten.
    Beatrice nahm den Bus von Lake Hood ins Stadtzentrum von Anchorage, der so voll war, dass sie dicht gedrängt stehen musste; ganz offensichtlich arbeitete man immer noch daran, die öffentlichen Transportmittel wieder nach Plan arbeiten zu lassen. Inzwischen war es schon weit nach Mitternacht, aber die weißen Nächte waren noch lange nicht vorüber; trotz einiger Wolken immer noch Sonnenschein. Eingequetscht zwischen zwei Männern erinnerte sie sich plötzlich an Neils Hand auf ihrer Schulter, damals, vor ihrem ersten Gletscher. Rasch versuchte sie, den Gedanken wieder zu verdrängen. Jetzt war nicht die Zeit dafür.
    Neil ging es gut; Neil musste es gut gehen. Ihr Vater hatte ihr geschworen, dass ihm nichts passiert war. Neil war wieder nach Boston zurückgekehrt. Aber er wurde mit Sicherheit überwacht.
    Als ihr Vater versucht hatte, das Versprechen, Neil nie wiederzusehen, zu einer Voraussetzung seiner Erklärung zu machen, hatte sie sich geweigert. Natürlich hätte sie ihrem Vater einen solchen Eid vortäuschen können, doch das wäre eine Lüge gewesen, und Lügen gab es schon viel zu viele in ihrem Leben. Sie wollte keine eigenen beitragen. Letztendlich, dachte Beatrice, ist die Zukunft wichtiger als die Vergangenheit.
    Sie war fest entschlossen, Neil wieder zu treffen, doch sie wusste, dass sie damit

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