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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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diesem Zentrum illegaler Einwanderung von Kubanern gekauft hatte, dazu die alten Ausweise ihrer Mutter, seinen Führerschein und manches andere. Mit Hilfe eines guten Scanners, des besten verfügbaren Bildbearbeitungsprogramms, eines Fotodruckers und einer Mikrowelle, die die Papiere durch Bestrahlung altern ließ, wie sie es in Filmen gesehen hatte, waren Ausweise herstellbar. Am besten gelang ihr ihrer Meinung nach der Führerschein für einen Jungen. Ihrem Foto hatte sie einen militärischen Kurzhaarschnitt verpasst und die Haarfarbe in blond geändert. Sie verglich die Papiere mit den Originalen ihres Vaters und konnte sie nicht unterscheiden, war sich jedoch bewusst, dass sie bei allen Computerkenntnissen doch nur ein Laie war. Immerhin, für einfache Kontrollen musste es genügen. Sie hatte keine Wahl mehr.
    Bei der Arbeit an den Dokumenten dachte sie daran, wie leicht es für eine Computerexpertin wie sie war, auch Geldscheine mit diesen Techniken herzustellen; leichter noch als das Fälschen von Ausweisen. Wie klein der Schritt von einer von ihrer Arbeit faszinierten Wissenschaftlerin zur semiprofessionellen Fälscherin war. Und zu ihrer eigenen Überraschung stellte sie fest, dass sich ihr Gewissen bei dieser Arbeit gar nicht meldete. Ihr war gelegentlich übel, aber das war ein rein physisches Phänomen, das nichts mit dem, was sie tat, zu tun hatte.
    Nicht, dass die Notwendigkeit zur Geldfälschung bestand. Ihr Vater hatte ihr erzählt, wie er das mit dem Bargeld erledigt hatte, das in seinem Wagen versteckt auf sie wartete. Eine Spende über eine Million Dollar an einen kubanischen Verein, der in der alten Heimat Anti-Castro-Aktivitäten finanzierte, hatte ihm 300.000 Dollar in gebrauchten Scheinen gebracht, die garantiert nicht registriert waren und aus Sammlungen unter den Exilanten stammten.
    Geldwäsche nannte man so etwas. Früher war es für sie so sehr oder so wenig wirklich gewesen wie alles andere, das sie auf Bildschirmen flackern sah. Sie hatte sich getäuscht. Sie lebte nicht jetzt erst hinter den Spiegeln, sie hatte schon immer dort gelebt. Für sie, die immer nur auf elektronischer Basis bezahlt worden war und das, was sie sich selbst kaufen wollte, über das Netz bestellt hatte, bedeutete der Anblick der Geldbündel, das Gefühl der brüchigen alten Scheine in ihren Händen eine neue Wirklichkeit.
    Als das Erdbeben begann, saß sie an ihrem Laptop in ihrem Zimmer im Wohnbereich. Sie war barfuß, und der warme Holzboden unter ihren Füßen war das Erste, was ihr mitteilte, dass etwas nicht stimmte. Sie hielt inne. Die stumpfen Schläge deuteten nicht auf eine der üblichen kleineren Erdbewegungen hin. Es war stark. Die Alarmsirenen, die alle Mitarbeiter aufforderten, unverzüglich das Labor zu verlassen, schrillten. Rasch sicherte sie Dateien auf eine CD, dann löschte sie noch die Festplatte, um alle Spuren ihrer Tätigkeit zu verwischen. Sie packte die Anorakjacke, steckte die CD und alle vorbereiteten Dokumente in eine der inneren Taschen, nahm die kleine Handtasche, in der sich nichts weiter befand als der Orwell von Neil, einige Fotos und ein paar Disketten, und verließ ihr Zimmer. Inzwischen war wohl allen klar, dass es sich nicht um ein kurzes Intermezzo handelte; der Boden unter ihren Füßen hörte nicht auf zu schwanken - ein stumpfes Stoßen wie damals im Boot, wenn neben ihm ein Wal auftauchte.
    Auf dem Flur kam ihr Vater ihr entgegen. »Sofort raus hier«, rief er, aber an dem Ausdruck seiner Augen erkannte sie, dass er genauso begriffen hatte wie sie selbst. Es war sieben Uhr abends; er selbst und einige der anderen hatten wohl noch im Labor gearbeitet, aber im Großen und Ganzen befanden sich nur noch wenige Mitarbeiter, die wie er und Beatrice hier lebten, innerhalb des Gebäudekomplexes. Sie versuchte gar nicht erst, sich nach Mears umzuschauen. Ob er nun unter einem Türrahmen Schutz gesucht hatte oder mit den anderen irgendwo ins Freie lief, war nicht wichtig; das Einzige, was zählte, war, sich lange genug unauffällig zu verhalten, um diese Chance zu nutzen.
    Der Laborbereich war sofort hermetisch abgeriegelt worden, der Sicherheitsautomatik folgend, nur der Wohnbereich blieb offen; Beatrice erinnerte der Flur auf einmal an eine Flasche mit einem engen Hals, durch den sich alle pressten. Sie spürte die Hand ihres Vaters in der ihren, hörte das Knarren von Holz, das Klirren von zerspringendem Glas und fühlte in ihren Fingern den Autoschlüssel ihres Vaters.
    »Wenn

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