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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Billigtouristen, die das Land bereisten. Nur als sie nach all dem Kaffee um ein Haar auf die Damentoilette gegangen wäre, warf ihr die übermüdete Bedienung hinter der Theke einen merkwürdigen Blick zu. Beatrice spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Hastig ließ sie ihre Hand von der Klinke fallen und ging zur nächsten Tür.
    Die Herrentoilette bot eine unangenehme Überraschung. Nicht eigentlich des Geruchs wegen; darauf war sie nun schon gefasst. Andere Benutzer waren auch nicht da. Aber ihr wurde auf einmal bewusst, dass ihre Verkleidung ein ebenso banales wie ärgerliches Problem mit sich brachte. Sie würde dann eben immer warten müssen, bis die Toilette frei war. Ein Urinal konnte ihr nicht helfen.
    Am Morgen, voll von der eigenartigen Mischung aus Benommenheit und Aufregung, die eine durchwachte Nacht mit sich brachte, und mittlerweile von dem Wunsch nach einer Dusche geplagt, kaufte sie sich am Kiosk eine Zeitung. Dabei rempelte jemand sie im Vorübergehen an. Neils Geschichte über den Handytausch fiel ihr ein, und mit einem Mal war sie sicher, beobachtet zu werden. Das Herz hämmerte ihr bis zur Kehle. In diesem Moment sah sie sich hinter Schloss und Riegel und Mears als Laborkaninchen überlassen.
    Hör auf, befahl sie sich. Selbst, wenn sie dich bekommen, du bist zu wertvoll für die Firma, als dass sie dich einfach Mears zum Experimentieren übergeben würden. Es sei denn, sie entscheiden, dass seine Experimente wichtiger sind als das, was du für sie darstellst. Es sei denn, sie entscheiden, dass du den ganzen Ärger nicht wert bist und am besten verschwinden solltest. Es sei denn, ganz andere Leute sind jetzt hinter dir her, weil du zu viel weißt vom Projekt Pandora, und dem, was dahinter steckt.
    Ihre Hände zitterten noch, als sie im Zug nach Seward die Zeitung las. Das Erdbeben war natürlich auf der Titelseite, und auch noch auf den nächsten. Aber auf der neunten Seite, als sich ihre Fingerkuppen schon längst schwarz gefärbt hatten, las sie: »Bekannter linker Autor beschuldigt Livion«.
    Das flaue Gefühl im Magen und in den Knien erinnerte sie daran, dass sie seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, und während der Lektüre des Artikels meldeten sich Kopfschmerzen. Laut Anchorage Daily News hatte der Schriftsteller Neil LaHaye, 42, einen Frontalangriff auf den Pharmakonzern Livion, »eine der großzügigsten Quellen für Wohltätigkeit und Naturschutz in unserem Staat« gestartet. Er war bereits aus dem Staat Alaska verwiesen worden und hatte seine Anstellung innerhalb der Fakultät von Harvard verloren. Für den Verfasser des Artikels galt er daher als verbittert und bestimmt nicht patriotisch und objektiv, auch, weil sein letztes Buch, das »um Sympathien für die in Guatánamo inhaftierten Terroristen warb«, ein völliger Misserfolg gewesen sei. Was seine jetzigen Beschuldigungen betraf, in denen er Livion von der Unterdrückung eines Heilmittels für AIDS bis zur Genmanipulation die gesamte Bandbreite an Verabscheuungswürdigem vorwerfe, so würden diese von so bekannten Wissenschaftlern wie Prof. King und Prof. McCullough durch die Bank als absurd zurückgewiesen. James T. Armstrong, CEO von Livion, sei noch nicht zu einer Stellungnahme bereit; sein Pressesprecher erkläre jedoch, eine solche werde in Kürze erfolgen.
    Er wollte nur seine Story, dröhnte Mears’ Stimme in ihrem Kopf, im Takt mit den immer heftigeren Kopfschmerzen. Gleichzeitig wusste sie, dass es nicht stimmte. Aber warum hatte Neil die AIDS-Theorie veröffentlicht, obwohl sie ihm wiederholt erklärt hatte, dass diese abwegig war? Sie hatte ihn mehrfach auf Mears verwiesen, auf die Gefahr, die von ihm ausging, und worauf konzentrierte er sich bei seiner Veröffentlichung? Auf ihren Vater und sie selbst. Das konnte sie nicht verstehen.
    Wasser auf Mears’ Mühlen. Zweifellos würde Mears das in Verbindung mit ihrer Flucht benutzen, um sich zum alleinigen Herrn des Labors und ihren Vater zu seiner Marionette zu machen. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass es für Livion bei diesen Anschuldigungen vielleicht sogar vorteilhafter sein mochte, wenn man auch ihren Vater verschwinden lassen würde. Nein. Denk logisch, befahl sie sich. Die Existenz ihres Vaters wurde von niemandem bestritten; wenn er jetzt verschwand, würde das weitere Verdachtsmomente auf die Firma lenken.
    Rational sein. Ratio. Verstand.
    Auf Mears kommt es nicht an, flüsterte sie. Auf Armstrong kommt es an. Und Mr. President

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