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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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noch einmal zu ertasten und für immer in ihre Fingerspitzen einzubrennen. »Seit dem Unfall hat er nichts mehr gespürt. Das schwöre ich Ihnen.«
    Neil hielt Bens Hand und stellte fest, dass er nichts fühlte.
    Überhaupt nichts. Es war, als habe er mit Ben die Plätze getauscht, dachte er abwesend. Er sah Deirdre, er sah seinen toten Sohn, er sah, wie sich der Mund des Arztes bewegte und tröstliche Dinge murmelte, aber es war ihm, als fände das alles auf einem anderen Planeten statt, während ihn eine graue undurchdringliche Wolke von Nichts umgab, die alles Gefühl von ihm fern hielt.
    Die Wolke blieb, bis er die Intensivstation gemeinsam mit Matt wieder verließ. Ein junger Reporter, der wegen eines vor ein paar Tagen von seiner Schwiegermutter angeschossenen Kongressabgeordneten da war, erkannte ihn und rief:
    »He! Sind Sie nicht Neil LaHaye?«
    Neil ging weiter. Der Reporter holte ihn ein. »Mann, wo sind Sie nur die ganze Zeit gewesen? Irgendwelche Kommentare dazu, dass Livion eine gerichtliche Verfügung gegen Sie erwirkt hat, um die Website mit Ihrem Artikel löschen zu lassen, und weiterhin die Existenz einer Beatrix Sanchez leugnet?«
    Als er immer noch keine Antwort erhielt, schnitt er Neil kurzerhand den Weg ab. »Kommen Sie schon, zumindest über die 500-Millionen-Dollar-Klage können Sie sich äußern. So was hat ein Privatmann nicht alle Tage am Hals. Stimmt es, dass Livion beantragt hat, Ihre Konten einzufrieren, damit Sie kein Geld ins Ausland transferieren können? LaHaye! Man kann doch nicht einfach so eine sensationelle Story in die Welt setzen und dann auf einmal den Stummen spielen! An der Sache muss doch was dran sein, so wie ich Sie kenne. Und wenn sogar Armstrong deswegen in der Sommerpause immer wieder in Washington aufkreuzt…«
    »Armstrong ist hier?«, fragte Neil. Seine Stimme schien aus weiter Ferne aus seinem Mund zu kommen, wie Luftblasen unter Wasser.
    »Schon wieder. Irgendwelche…«
    Wieder gelang es dem Journalisten nicht, auszureden. Matt, der noch zurückgeblieben war, um einige Worte mit Deirdre zu sprechen, hatte Neil eingeholt und mit einem Blick die Situation erfasst. Er zog den Reporter zur Seite und flüsterte ihm etwas zu.
    »Oh. Okay. Kapiert. Aber…«
    Der Mann verblasste wie ein Schemen, während Matt Neil weiterzerrte. Aber etwas hatte den grauen Nebel, der Neil umgab, durchdrungen.
    »Armstrong ist in der Stadt?«
    »Hör zu«, antwortete Matt, »ich kann durchaus verstehen, wenn du ihn entweder filetiert oder den Hunden vorgeworfen sehen möchtest, aber mach jetzt keinen Blödsinn. Du kommst nicht mal auf zwanzig Meter an ihn heran, und es wird ihm ein Genuss sein, dich wegen versuchter Körperverletzung endgültig hinter Gitter zu bringen. Du hast es ihm schon jetzt zu leicht gemacht mit deinen verschiedenen Geschichten und den persönlichen Attacken auf ihn. Deine Glaubwürdigkeit ist völlig hinüber. Du hast zwei Verfahren am Hals, in Bundesstaaten, in denen du noch nicht mal Behauptungen zurücknehmen kannst, um Schadensersatz zu verhindern, hast du das vergessen?«
    »Nein«, entgegnete Neil kalt, »und ich habe nicht die Absicht, James T. Armstrong auch nur ein Haar zu krümmen. Wenn er morgen tot umfallen würde, dann gäbe es genügend Präsidentillos, die genau da weitermachen, wo er aufgehört hat. Aber ich möchte, dass du ihm eine Nachricht von mir überbringst.«
    »Neil, du…«
    »Ich möchte«, fuhr Neil unbeirrt fort, »dass du deinen Ruf als freundlicher Journalist benutzt, mit dem man sich als Mächtiger ruhig treffen kann, und ihm sagst, er sollte lieber darum beten, dass meine Tochter bis in ihr neunundneunzigstes Lebensjahr gesund und munter bleibt, denn außer ihr habe ich nichts mehr zu verlieren, und wenn ich nichts mehr zu verlieren habe, dann gibt es auch keinen Grund, nicht noch die letzte Karte auszuspielen, die mir zur Verfügung steht.«
    »Das ist doch…«
    »Frag ihn, ob er sich wirklich sicher ist, dass mir Beatrice nichts aus dem Labor mitgegeben hat, und bring zum Ausdruck, dass ich nicht von irgendwelchen Unterlagen rede. Und mach ihm klar, dass auch mein eigenes plötzliches bedauerliches Ableben daran nichts ändern würde.«
    Es war ein Bluff, nichts als ein Bluff, aber wenn es ihm auch nur die geringste Chance bot, Julie auf eine wirksame Art zu schützen, war es den Versuch wert. An eine lebende Beatrice glaubte er nicht mehr. Aber Julie, Julie lebte noch. Matt entgegnete nichts mehr. Er musterte Neil nur mit

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