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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hinauszubegleiten.«
    Sowie sich die Tür seines Empfangszimmers hinter ihnen geschlossen hatte, blieb er stehen und sagte wesentlich kühler:
    »Bei allem Mitgefühl, Ms. Jordan, was sollte das eben? Sie wissen doch, was für ein wichtiger Sponsor Armstrong für uns ist. Und wir sind ohnehin in einer verdammt heiklen Lage ihm gegenüber, nachdem dieses Weib vom Chronicle Stein und Bein schwört, es gäbe bei uns im Büro eine undichte Stelle, die ihr die Information über die Gesetzesinitiative verbürgt habe. Um ganz offen zu sein, man verdächtigt Sie. Natürlich habe ich in Anbetracht all unserer gemeinsamen Jahre meine Hand für Sie ins Feuer gelegt, aber Sie helfen mir nicht gerade mit dieser aggressiven Haltung, die Sie da eben an den Tag gelegt haben!«
    »Aggressiv?«, wiederholte Deirdre ungläubig. »Ich? Ihm gegenüber? Sir, wissen Sie, wofür dieser Mann verantwortlich ist?«
    »Ich will nicht hoffen, dass Sie nunmehr die Wahnvorstellungen Ihres Exmanns teilen«, sagte der Senator kalt.
    »Nein«, erwiderte Deirdre mühsam beherrscht. »Ich rede weder von irgendwelchen AIDS-Medikamenten noch von illegaler Genmanipulation. Ich beziehe mich auf meinen Sohn, der derzeit im Koma liegt, weil jemand es für nötig hielt, Neil seine Grenzen zu zeigen.«
    Das fassungslose Gesicht des Senators erweckte in ihr zunächst Hoffnung, bis ihr nächster Herzschlag sie begreifen ließ. Es war nicht so, dass er diese These für pure Phantasie hielt. Nein, sein Entsetzen galt der Tatsache, dass sie es gewagt hatte, so etwas laut zu äußern, und ihn dadurch in die Zwangslage brachte, es kommentieren zu müssen. In seinen Augen sah sie ihre Karriere, alles, wofür sie so lange gearbeitet hatte, wofür sie harte persönliche Opfer gebracht hatte, zusammenstürzen; ein Turm ohne Fundamente. Doch sie hielt seinem Blick stand.
    »Ms. Jordan«, sagte der Senator endlich, »ich glaube, Sie brauchen jetzt Urlaub. Ich glaube sogar, Sie sollten erwägen, sich einige Zeit gänzlich aus dem aktiven Arbeitsleben zurückzuziehen.«
    »Ich werde darüber nachdenken«, antworte Deirdre, ohne mit der Wimper zu zucken oder ihm noch einmal die Hand zu schütteln. Sie ignorierte ihre Assistentin, die ihr mit offenem Mund die rasch zusammengestellte Mappe hinhielt, und verließ das Büro.
     
    * * *
     
    Er grub und grub, aber der Boden unter seinen Füßen war zu feucht; für jedes bisschen Erde, das er mit seinen bloßen Händen herauskratzte, schien ein Stück Sumpf in die Höhlung, die er gemacht hatte, zurückzugleiten. Es gab nichts, was seinen Händen Widerstand entgegensetzte, aber auch nichts, woran sie sich festhalten konnten.
    »Was tust du?«, rief seine Mutter. Sie saß in einem Schaukelstuhl, den alten Quilt auf ihren Knien. Hinter ihr standen, die Arme umeinander gelegt, Deirdre und Beatrice.
    »Ich suche nach einem Heilmittel für Ben«, sagte Neil. »Ich konnte euch nicht retten, aber vielleicht ihn.«
    »Ich brauche niemanden, der mich rettet«, sagte Beatrice. »Ich brauche jemanden, der die Wahrheit sagt.«
    »Aber was ist Wahrheit?«, fragte Deirdre.
    Seine Mutter wies auf den Boden »Du suchst das falsche Heilmittel für die falsche Person. Lass die Toten ihre Toten begraben.«
    Er folgte ihrem Fingerzeig und sah, was er geschaffen hatte, was auf einmal fest und gar nicht mehr feucht war: ein Grab.
     
    Jemand rüttelte an seiner Schulter. »Neil«, sagte Matt, »Neil, das Krankenhaus hat eben angerufen. Dein Sohn hat einen Rückfall gehabt. Sie haben ihn wieder auf die Intensivstation verlegt.«
    Es war das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass er länger als zwei, drei Stunden geschlafen hatte, und er brauchte eine Weile, bis er verstand, dass er in Matts Wohnung war und was Matts Worte bedeuteten. Stumm schlüpfte er in Jeans und T-Shirt. Matt, der sich schon angezogen hatte, fuhr ihn zum Hospital, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Da Deirdre den sehr viel weiteren Weg und heute nicht wie sonst bei einer Freundin oder in einem Hotel in der Innenstadt übernachtet hatte, sondern zurück nach Bowie gefahren war, um mit Julie zu Abend zu essen, traf er als Erster ein.
    Sein Sohn starb, wie einer der Ärzte in sein Tonbandgerät sprach, um drei Uhr, siebzehn Minuten, morgens, am sechsundzwanzigsten August, ohne sein Bewusstsein noch einmal wiedererlangt zu haben. »Er hat nicht gelitten«, sagte der gesichtslose Mann im blauen Kittel zu Deirdre, die fassungslos über Bens Gesicht strich, als versuche sie, jeden Zentimeter

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