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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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skeptischer drein, und sie gab sich einen Ruck.
    »Hör mal«, meinte sie, »ich möchte dich wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen. Du hast mir lange genug geholfen. Wenn du willst, packe ich meine Sachen und ziehe aus.«
    Die Augenbrauen ihres Gegenübers zogen sich zusammen, nicht bedrohlich, sondern nachdenklich.
    »Hm«, sagte er wieder. »Lass mich darüber nachdenken, in Ordnung? Ich hab da eine Idee, aber ich bin mir noch nicht sicher.«
    Ihre Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Beatrice schluckte.
    »Bitte, sie dürfen mich nicht erwischen«, bat sie. »Wenn du mich nicht mehr hier haben willst, das ist in Ordnung, aber mach mir nichts vor, um mich hinzuhalten und derweil die Behörden zu alarmieren.«
    »Du hast wirklich eine blühende Phantasie, Mädchen«, gab Mike gekränkt zurück. »Seh ich so aus?«
     
    * * *
     
    Als Deirdre ihr Büro zum ersten Mal seit dem Unfall ihres Sohnes wieder betrat, tat sie es nicht in der Absicht, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Aber nach drei Wochen war sie immerhin so weit, dass sie sich einen Teil der aufgelaufenen Papiere an Bens Bett mitnehmen wollte. Der Senator hatte ihr unbefristet Urlaub gegeben, so lange, wie es für ihren Sohn nötig sei, schließlich sei das von ihr geschulte Personal glänzend in der Lage, sie zu vertreten, aber Deirdre wusste, dass man den Bogen nicht überspannen durfte.
    Ihre Assistentin und die anderen Büromitglieder, die alle genau wie der Senator Blumen und Plüschtiere geschickt hatten, begrüßten sie herzlich und drückten ihr Mitgefühl aus, was Deirdre in Versuchung brachte, lauthals zu schreien: »Er ist noch nicht tot!« Mit der Disziplin eines ganzen Lebens unterdrückte sie den Impuls.
    Zu ihrer Überraschung erfuhr sie, dass der Senator anwesend war. Sie hatte ihn eigentlich auf Reisen geglaubt; er musste seinen Terminplan geändert haben.
    »Er wird dich sehen wollen«, sagte ihre Assistentin und informierte den Senator über die Sprechanlage, Ms. Jordan sei für einen kurzen Besuch hier. Sie hatte Recht; der Senator äußerte den Wunsch, Deirdre möge noch einen Moment warten, er wolle sie unbedingt sprechen.
    »Ist gerade ein hohes Tier drin«, kommentierte ihre Assistentin und hob eine Augenbraue, als die Sprechanlage wieder summte.
    »Mein Besucher möchte Ms. Jordan auch gerne kennen lernen, sie soll gleich zu mir hereinkommen«, sagte der Senator.
    Deirdre bat ihre Assistentin, ihr den Plan für die wichtigsten Reden des Senators in den zwei Monaten nach Ende der Sommerpause, entsprechende Notizen und die neuesten Umfrageergebnisse zurechtzulegen, und begab sich in das Empfangszimmer. Der Senator saß nicht hinter seinem Schreibtisch, er kam ihr bereits entgegen und empfing sie mit einem Lächeln, das die perfekte Mischung aus Freude über ihr Erscheinen und Mitgefühl über die Lage ihres Sohnes ausdrückte. Warm ergriff er ihre Hand. Der Senator war ein großer, breitschultriger Mann, deswegen erkannte Deirdre seinen Besucher, der sich höflich ebenfalls erhoben hatte, erst, als Cunningham ihre Hand wieder losgelassen hatte und zur Seite getreten war, was den Blick auf seinen Gast freigab. Bisher hatte sie ihn nur von weitem auf Empfängen gesehen und auf Fotos in zahlreichen Veröffentlichungen, doch sie erkannte ihn sofort. James T. Armstrong. Mr. President.
    Es gab in Deirdres Leben Menschen, die sie nicht mochte. Es gab sogar Menschen, gegen die sie eine starke Abneigung hegte. Aber bis auf ihren ehemaligen Gatten hatte sie niemals jemanden gehasst. Und der Hass, den sie mittlerweile für Neil empfand, war ein anderes Gefühl als das mörderische blinde Verlangen, zu töten, das sie jetzt ergriff, als sie in Armstrongs unverbrüchlich lächelndes Gesicht starrte.
    »Das ist also die unersetzliche Ms. Jordan«, sagte Armstrong unverbindlich.
    Sie versuchte es. Sie versuche verzweifelt, wieder professionell zu werden und zumindest eine ebenfalls unverbindliche Phrase zu murmeln, doch sie brachte keinen Ton heraus. Armstrongs Lächeln verblasste etwas, wie auch das des Senators.
    »Ich habe von dem tragischen Unglück gehört«, sagte der mächtigste Mann von Livion. »Erlauben Sie mir, Ihnen mein Beileid auszusprechen.«
    »Mein - Sohn - ist - noch - nicht - tot!«, stieß Deirdre zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
    »Natürlich nicht, natürlich nicht«, murmelte der Senator beschwichtigend. »Ms. Jordan, es ist eine schwere Zeit für Sie, das weiß ich. Gestatten Sie mir, Sie

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