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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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längsten daran arbeiten. Und es ist nichts Anstößiges daran, wenn solche Stipendien in der Hoffnung vergeben werden, dass die Stipendiaten irgendwann für Livion arbeiten. Das ist legitim. Jeder macht das, selbst der Staat, mit einer ganzen Reihe von Stipendien.«
    »Klar. Aber Leute mit einem Stipendium, das von einem der Bundesstaaten finanziert wurde, verschwinden nicht, nachdem sie erst irgendwo als Retter aufgetaucht sind. Und die Bundesstaaten, die Stipendien vergeben, steigen nicht zufälligerweise gerade dann ins große Geschäft mit der Krankheit ein, mit der sich der verschwundene Stipendiat beschäftigte, als er zum letzten Mal gesehen wurde.«
    »Diese ganze Spekulation bleibt natürlich völlig unbeeinflusst von dem Umstand, dass sich dir dadurch James T. Armstrong als Zielscheibe anbietet, wie?«
    »Industriebosse, die sich mit Mr. President anreden lassen und sich auch so fühlen, sind mir prinzipiell zuwider. Sag mal, stört es deine guten Freunde im Weißen Haus eigentlich nicht, dass sich noch jemand Präsident schimpft?«
    »Nicht, solange Armstrong pünktlich seine Spenden überreicht«, erwiderte Matt, ohne eine Miene zu verziehen, »und nicht auf die Idee kommt, Ross Perot zu spielen und selbst zu kandidieren.«
    »Gott bewahre.«
    »Hör mal, Neil, ich dachte, du wolltest mit dieser Don Quichotterie aufhören. James Armstrong mag ja ein Kotzbrocken sein, so wie er sich bei seinen PR-Auftritten gibt, und diese Megabosse haben irgendwo mit Sicherheit alle Dreck am Stecken. Aber eine Riesenholding zu leiten, zu der auch ein Pharmakonzern gehört, ist in diesem Land kein Verbrechen, sondern ein erstrebenswertes Ziel. Dass er dabei auch Leuten ohne Geld die Chance zur Bildung gibt, ist sogar lobenswert, finde ich, ganz gleich, welchen Profit er für sich selbst erhofft.«
    »Schau, wie schön bequem meine Netze sind, sagte die Spinne zur Fliege.«
    »Und von wem«, fragte Matt scharf, »kommen die Zuschüsse, die deiner Fakultät hier in Harvard gestatten, Typen wie dich zu engagieren, damit sie sich in ihren Elfenbeinturm zurückziehen und ihre Wunden lecken können? Weißt du das so genau? Kommen die von guten Kapitalisten oder bösen Kapitalisten?«
    Neil spürte die Kante seines Schreibtischs und entdeckte, dass sich seine Hände verkrampft hatten. Es wurde ihm bewusst, dass sie auf einen Streit zusteuerten, wenn sie in dieser Tonart fortfuhren. Die milchige Märzsonne von Boston ließ Matts Gesicht bleicher erscheinen, als es war. Er löste seine Hände vom Tisch und holte tief Luft.
    »Okay«, sagte er. »Ich weiß nicht, woher die Zuschüsse kommen, und du hast Recht, es wäre heuchlerisch, das System als solches anzugreifen, wenn ich davon profitiere. Aber das geht doch völlig an der Frage vorbei, die mich wirklich beschäftigt - was wurde aus Sanchez, und besteht zwischen all diesen Faktoren ein Zusammenhang? Matt, du bist Reporter, also denk auch wie einer. Gallo dürfte heute weltweit einer der wohlhabendsten Mediziner überhaupt sein, allein durch die Patente und Tests, die von ihm mit entwickelt wurden. Warum nicht Sanchez, wenn er so genial war, wie jeder schwört?«
    »War er das?«
    »Laut meinen Quellen hat er durch die Züchtung von Bauchspeicheldrüsenzellen, die vom menschlichen Immunsystem nicht abgestoßen werden, so etwas wie die Eingangspforte zum heiligen Gral der regenerativen Medizin gefunden, weil das eine Alternative zur Insulintherapie für Diabetiker bedeutet. Außerdem hat er herausgefunden, wie das Wachstum und der Abbau irgendeines speziellen Proteins in den Zellen mit dem Zellteilungszyklus zusammenhängt, und dieses Protein als Zeitmesser für die Zellen identifiziert. Klingt für unsereins vielleicht nicht besonders, aber anscheinend war das maßgebend für das heutige Verständnis der Zellteilung. Und unser Freund Sanchez brachte das alles ins Rollen, noch ehe er dreißig wurde. Klingt das nach einem Mann, der sich von Gallo und Konsorten übertreffen lässt?«
    »Entdeckungen sind nicht etwas, das zwangsläufig dem größten Genie zufallen muss. Otto Hahn war garantiert nicht das größte Genie seiner Zeit, und er war Chemiker, nicht Physiker. Nur: Die Kernspaltung hat trotzdem er als Erster geschafft.«
    Damit hatte er nicht Unrecht, das musste Neil zugestehen. Er versuchte sich an einem neuen Ansatz.
    »Kennst du den Witz von dem Junioranwalt, der stolz von seiner ersten Verhandlung vor Gericht in die Kanzlei zurückkehrt und seinem Vater erzählt, er

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