Götterdämmerung
überrascht, aber enttäuscht, als Matt seufzte.
»Na dann, viel Glück, mein Don. Ich glaube, du bist auf dem Holzweg, aber ich glaube auch, dass du keine Ruhe geben wirst, bis du das selbst herausfindest. An deiner Stelle würde ich mich auf Sanchez konzentrieren. Ein Genie gibt immer etwas her, vor allem, wenn es verschwindet, und das heißt, du wirst immer noch genug Material für eine gute Story in den Händen haben, wenn du alle anderen Riesen als Windmühlen erkannt hast.«
Ob es an der Enttäuschung lag, dem Bedauern über ihre verlorene Jugend, in der sie sich beide zu kontroversen Themen aufgestachelt hatten, oder an schierer Lust an der Provokation, Neil konnte es sich nicht versagen, laut zu sinnieren:
»Tja und wenn nicht, dann kann ich immer noch meine gesammelten Artikel über den Irak-Krieg in einer Anthologie zum Thema gebrochenes Völkerrecht veröffentlichen. Glaubst du, das bringt mich wieder auf die Bestsellerlisten zurück?«
Unter anderen Umständen wäre es belustigend gewesen zu sehen, wie Matt, der gerade Anstalten gemacht hatte, aufzustehen, sich alarmiert wieder hinsetzte und eine Miene wie ein besorgter Vater machte, dessen Sohn gerade angekündigt hatte, einer gefährlichen Sekte beitreten zu wollen.
»Das war ein Witz, oder?«
»Früher hättest du nicht zu fragen brauchen«, erwiderte Neil, und die plötzliche Trauer, die sich in seine Stimme mischte, galt nicht nur Matt. Er hatte nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dem Guantánamo-Buch eines über den Irak-Krieg folgen zu lassen, trotz der erzürnten Artikel, die er zu diesem Thema verfasst hatte. Das hatte nur zum Teil damit zu tun, dass er diese Artikel nur im Internet oder in englischen Zeitungen hatte veröffentlichen können. Irgendwo zwischen kaum besuchten Signierstunden und Hassbriefen, die sich schon längst nicht mehr mit begeisterter Leserpost die Waage hielten, hatte er das Vertrauen verloren, mit seiner Politikkritik noch etwas Nennenswertes bei den Menschen erreichen zu können. Er war nicht Michael Moore, der sich trotz der Hasstiraden der rechten Talkshow-Moderatoren permanent in den Bestsellerlisten halten und nicht aus den Kinos vertrieben werden konnte.
Aber die Frage nach AIDS, nach Sanchez, nach den Mitteln, zu denen die Pharmaindustrie bereit war zu greifen - das würde sie alle dazu bringen, ihm wieder zuzuhören. Und er würde etwas bewirken, etwas verändern für die Mrs. Edgarsons dieser Welt und ihre Söhne.
* * *
Die Laborräume, in denen Beatrice ihrer Arbeit nachging, wurden von den Mitarbeitern scherzhaft »Honigwaben« genannt. Im Gegensatz zu den Wohnräumen, die in einem separaten Gebäude untergebracht und so viereckig wie gradlinig waren, hatte man das Labor nicht nur als Oktogon gebaut, sondern auch jeden einzelnen Raum diesem Format angeglichen. Die in einem warmen Gelb gehaltenen Wände und das ständig gegenwärtige leichte Brummen der Stromgeneratoren trugen das ihre zu der Ähnlichkeit bei, und nur die Stahltüren mit ihren Sicherheitsschlössern, für deren Entriegelung codierte Karten nötig waren, störten dabei.
Unter den Wissenschaftlern, die lange genug im Labor arbeiteten, dass sie mit ihnen aufgewachsen war, gab es nur wenige, denen Beatrice keine Sympathie entgegenbrachte. Es gab nur einen, für den sie echte Feindseligkeit empfand: Warren Mears, der als Biochemiker neben ihrem Vater die führende Position im Labor innehatte und mit ihm um Mitarbeiter und um Budgetanteile kämpfen musste, seit sie denken konnte.
Die natürliche Rivalität, die zwischen den beiden Männern als den leitenden Wissenschaftlern bestand, hätte eine Freundschaft ohnehin schwierig gemacht, doch Mears war immer mehr als nur ein Rivale gewesen.
»Wenn es nach Warren ginge«, sagte ihr Vater, »würden wir alle nach unserem chemischen Wert bemessen werden. Und du weißt, dass wir zu achtzig Prozent aus Flüssigkeit bestehen.«
»Wasser ist kostbar.«
»In der Wüste, Bea. Nicht in Alaska.«
In ihrer Kindheit hatte Warren Mears sie ignoriert, aber seit Beatrice begonnen hatte, durch die Anwendung ihrer Computerkenntnisse auf biologische Vorgänge dem Labor Aufgaben wesentlich zu erleichtern, hielt er sie seiner Aufmerksamkeit für würdig. Gespräche mit Mears glichen im Allgemeinen spitzfindigen Schlagabtauschen. Außerdem brachte er es immer irgendwie fertig, hinter einem aufzutauchen, ohne dass sie ihn hörte und ohne sich vorher anzukündigen. Beatrice scherzte einmal ihrer Freundin
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