Götterdämmerung
Latino-Ausführung erinnerte und ein langes weißes Baumwollhemd über seiner Hose trug. »Ich kenne Ihren Ruf, wissen Sie. Sie sind so ungefähr der Letzte, von dem ich erwartet hätte, dass er ein Buch über prominente Kubaner schreiben will. Nicht gerade logisch, nach Ihren Liebesgrüßen an die Terroristen auf Kuba, wie?«
Neil verlor sein unverbindliches Lächeln keine Sekunde. »Eben deswegen«, sagte er. »Ich wiederhole mich ungern.«
»Mmmm«, erwiderte Suárez. »Mir fallen da schon gewisse Wiederholungen auf in Ihren Büchern.«
Er klang mehr stichelnd als ernsthaft feindselig, und Neil nickte. »Stimmt«, sagte er. »In jedem einzelnen beweise ich, was Amerika doch für ein großartiges Land ist, da es einem Terrier wie mir gestattet, seine Kritik zu veröffentlichen.«
Suárez warf den Kopf zurück und lachte. Seine Zähne wiesen Raucherflecken auf, was nach den makellosen Einheitsgebissen im Norden seltsam erfrischend wirkte.
»Sie sind in Ordnung«, kommentierte er. »Also schön. Aber wie sind Sie eigentlich ausgerechnet auf Vic Sanchez gekommen? Nicht unbedingt der erste Name, der »einem einfällt, wenn man an Miami denkt.«
»Ich wollte ja ursprünglich mit Elian Gonzalez anfangen«, entgegnete Neil trocken, auf den kleinen Jungen anspielend, der 1998 als Objekt des Tauziehens zwischen Fidel Castro und der kubanischen Gemeinschaft von Miami berühmt geworden war, »aber ich bezweifle, dass mich das Außenministerium noch mal nach Kuba lässt.«
Flüchtig fragte er sich, wie Suárez reagieren würde, wenn er ihm das wahre Ziel seiner Recherche nannte. Desinteressiert günstigenfalls, entschied er. Wahrscheinlich feindselig. Suárez mochte ein Profi sein, aber man konnte seine Arbeit gut oder nur mittelmäßig erledigen, je nach Auftraggeber, und Neil brauchte seine Interviews in Miami so schnell wie möglich. Eine Lüge mehr oder weniger spielte keine Rolle, solange sie ihn seinem Ziel näher brachte.
»Nein, ernsthaft«, fuhr Neil fort, »dieser Dr. Sanchez fasziniert mich. Natürlich gibt es berühmtere Kubano-Amerikaner, aber er scheint ja so etwas wie ein Wunderkind gewesen zu sein. Ich kenne Wissenschaftler aus Boston, die jetzt noch vor Neid vergehen, wenn sie von ihm sprechen. Und Sanchez war ein Einwanderer, der die Sprache erst lernen musste, kein goldenes Kind der Ostküste. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
Er beugte sich mit seinem aufrichtigsten Gesichtsausdruck vor. Nicht übertreiben, ermahnte er sich, aber Suárez strahlte nichts als geschmeicheltes Wohlwollen aus.
»In Cambridge heißt es, er hätte jeden medizinischen Lehrstuhl haben können, den er wollte. Er galt als so brillant, dass Wetten darauf abgeschlossen wurden, wann er für den Nobelpreis nominiert werden würde. Und dann verschwindet er einfach? Jorge, ich bin Journalist. Das ist eine gute Story. Und dafür brauche ich Hintergrund. Die Jugendliebe, der beste Freund aus Kindheitstagen und so weiter.«
Suárez rieb sich die Nase. »Mit der Jugendliebe kann ich nicht dienen, aber ich glaube, den Freund habe ich für Sie aufgetrieben«, entgegnete er. »Und nennen Sie mich George, bitte. Ich bin noch nicht mal Jorge getauft.«
»Warum benutzen Sie den Namen dann überhaupt?«
»Mit spanischem Vornamen kriegt man leichter Minderheitenförderung«, sagte Suárez entwaffnend unverblümt. »Hispanics zählen zu den Farbigen, weißer Junge, und damit zu den Minderheiten. Was ein ziemlicher Witz ist, wenn man sich überlegt, dass unsere Vorfahren die ersten Europäer waren, die hierher kamen und die Einheimischen umlegten. Spanier sind natürlich keine Hispanics und gelten als weiß, aber wenn man aus Kuba kommt, ja dann ist man ein Hispanic, diskriminierter Farbiger und hat Anspruch auf staatliche Unterstützung für sein Unternehmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich erkenne die gute Absicht, nur ist es halt so - meine Firma hat ziemlich viel Geld und Anwälte gebraucht, um den dazu nötigen Papierkram zu bewältigen, und es geschafft. Gut für uns. Aber so ein armes Schwein, das aus einem illegalen Boot aus Kuba steigt und einen Früchtekarren genehmigt haben will, also die Förderung wirklich brauchen könnte? Keine Chance.«
»Das ist also Little Havana«, sagte Neil und schaute sich um, während Suárez einen enormen Bolzen mit zwei Schlössern zwischen sein Lenkrad und das Armaturenbrett klemmte, ehe er ausstieg.
»Nur, wenn Sie ein Tourist sind«, gab Suárez zurück. »Keiner von uns nennt den
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