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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wollen Sie über Vic schreiben?«
    Neil wiederholte seine Geschichte vom Buch über berühmte und verdiente Kubano-Amerikaner, und Lázaro nickte beifällig. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
    »Gute Idee im Prinzip«, sagte er, »aber ich habe mich über Sie erkundigt. Sie sind so ein liberaler Schmierfink, dem das Herz über alles Mögliche blutet, nur nicht für sein Land. Ich will nicht, dass mein Name in einer Dreckschleuder gegen Amerika vorkommt oder der von Vic Sanchez. Und wenn Sie zehnmal über die Größen des exilio schreiben.«
    »Sir«, antwortete Neil, absichtlich die englische Anredeweise benutzend, »wenn ich böswillige Absichten hätte mit meinem Porträt kubanischer Einwanderer, läge es da für mich nicht näher, über die Watergate-Einbrecher zu schreiben als über einen so ehrenwerten, brillanten Mann wie Dr. Sanchez?«
    Lázaro verschränkte die Arme. »Bei Watergate gab es auch ehrenwerte Amerikaner«, sagte er langsam, »die nur das Beste für ihr Land taten. Wenn dieser ultraliberale McGovern Präsident geworden wäre, hätte er Fidel abgeküsst wie dieser Weichling Carter später Breschnew. Manchmal muss man sich die Hände dreckig machen, um seine Pflicht zu tun. Aber ihr Liberalen versteht das nicht und werdet das nie verstehen. Ihr habt ja nicht einmal nach dem 11. September den Patriotismus richtig begriffen. Bei diesen Antikriegsdemonstrationen im Fernsehen ist mir übel geworden. Aber wir hier in Miami, el exilio, wir haben immer gewusst, was wir Amerika schulden.«
    Einfach zuzustimmen, konnte genauso falsch sein wie an Ort und Stelle eine Debatte vom Zaun zu brechen.
    »Ich bin anderer Meinung«, sagte Neil so leidenschaftslos wie möglich. »Was ich Amerika schulde, ist die Wahrheit. Ob sie nun für andere unbequem ist oder für mich selbst. Ich sehe meinen Beruf als einen Spiegel der Realität, Senor; und da ich die Herausforderung liebe, suche ich Objekte, die anders sind als ich selbst, um sich darin widerzuspiegeln.«
    Lázaros Mundwinkel hoben sich unter dem Schnurbart ein winziges Stück; in seinen Augen flackerte ein amüsierter Funke.
    »Und wann haben Sie das letzte Mal etwas berichtet, das Sie nicht berichten wollten, mein Freund? Statt etwas offen zu legen, was nur Ihren eigenen Ansichten entspricht, meine ich.«
    Nicht schlecht, dachte Neil, wirklich nicht schlecht.
    »Hm«, sagte er laut. »Nun, zunächst einmal kam mein letztes Buch nur deswegen zustande, weil ich zusammen mit neun weiteren ausgesuchten amerikanischen Journalisten nach Guantánamo geschickt wurde, um zu beweisen, dass die Vermutungen der Welt über die Verhältnisse dort heillos übertrieben wären. Wieso die Regierung ausgerechnet auf mich verfallen ist, weiß ich natürlich nicht. Der zuständige Beamte in Langley darf inzwischen garantiert nur noch Schuhe putzen. Aber Tatsache bleibt, dass bereits mein Aufenthalt dort, wenn Sie so wollen, im Dienst der Nation stattfand.«
    In Wirklichkeit hatte Neil sehr wohl eine Ahnung, wieso er auf die Liste gekommen war, doch er beabsichtigte nicht, Lázaro und Suárez von Somalia oder Deirdre zu erzählen. Erst recht nicht davon, wie das Pentagon den eingeladenen Journalisten auf wenig subtile Weise klargemacht hatte, welche Tendenz die Berichterstattung haben sollte, und so für sein Guantánamo-Buch verantwortlich wurde. Er hatte es nie vertragen können, wenn man ihn manipulieren wollte, und diese geschickten Inszenierungen schon als Kriegsberichterstatter gehasst: die Einladungen an die eigentlich verhassten Schreiber, die mit dem Versprechen der Nähe zur Macht geködert und zu Hofberichterstattern umfunktioniert werden sollten, die nur schilderten, was vorher von den wahren Regisseuren für sie ausgewählt worden war. Das erinnerte ihn alles zu sehr an seine Universitätszeit, wo man ihnen schon im ersten Semester beigebracht hat, wie man Meinungsumfragen allein durch die Fragestellung zu neunzig Prozent beeinflussen oder bei Interviews schon durch einfaches Weglassen den Inhalt eines Gesprächs völlig auf den Kopf stellen konnte, ohne auch nur ein einziges falsches Wort hinzufügen zu müssen. Das Schlimmste war, dass man sich solcher Methoden früher oder später selbst bediente, wie er es gerade jetzt im Gespräch mit Lázaro und Suárez tat.
    »Glück für Sie, wie?«, kommentierte Lázaro Horta. »Aber das geht doch am Kern der Frage vorbei.«
    »Also, einige der religiösen Ergüsse der Gefangenen von Guantánamo waren ausgesprochen

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