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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte.
    »Haben Sie Kinder?«
    »Ja«, erwiderte Neil.
    »Dann können Sie auch nicht beurteilen, wie das ist, wenn man keine haben kann. Ich bin kein Wissenschaftler, aber so viel verstehe ich doch, dass es bei der Genetik um unser aller Erbe geht. Und dann erfährt ein Mann, dass er keine eigenen Erben haben wird. Macht aus seinem Leben einen ziemlichen Witz, wenn Sie mich fragen.«
    »Dr. Sanchez sah das auch so?«
    »Ich denke schon. Ganz klar hat er sich nicht ausgedrückt, schließlich war er betrunken, als er mich anrief. Was nicht seiner Art entsprach, verstehen Sie mich da nur nicht falsch. Ich weiß, was über Ärzte so geredet wird, aber ich habe Vic in all den Jahren nur zweimal betrunken erlebt. Das andere Mal war so etwa zwei Jahre später. In der Zwischenzeit war mir aufgefallen, dass keine Artikel mehr über ihn erschienen. Früher kam immer wieder mal was über ihn in den Zeitungen, vor allem hier. Verstehen Sie, er war damals der Berühmteste von allen, die aus Kuba in die Staaten gekommen waren, und ein Held für jeden hier. Wir nahmen jeden Preis, den er erhielt, sehr persönlich, nicht nur ich als sein Freund, nein, auch Leute, die ihn kaum kannten. Und dann auf einmal« - Lázaro breitete die Arme aus - »nichts mehr! Außerdem war er umgezogen, aber hatte mir seine neue Telefonnummer nicht gegeben und als Adresse nur ein Postfach in New York. Ich dachte mir zuerst, dass er entweder tief in einem neuen Forschungsprojekt steckt und nicht gestört werden möchte, oder für die Regierung arbeitet oder beides. Wie auch immer, solange ab und zu ein Lebenszeichen von ihm kam, war das in Ordnung. Ich war nie jemand, der sich aufdrängt. Und dann, aus heiterem Himmel, kreuzt Vic auf einmal mitten in der Nacht bei mir auf.
    ›Lass uns nach Miami Beach gehen‹, sagt er. ›An den Strand.‹ Ich bin natürlich ziemlich überrumpelt und sage nichts Vernünftiges wie: ›es ist mitten in der Nacht‹, sondern, ›Vic, Miami Beach ist nicht mehr das, was es mal war. In der letzten Zeit tauchen da mehr und mehr Schwule auf.‹ Das war früher nicht so, mein Junge, jedenfalls nicht, als Vic und ich da nach der Schule zum Schwimmen gingen. Damals wohnten in Miami Beach hauptsächlich alte Juden, und wir hatten den ganzen Strand für uns. Vic lacht, viel länger, als es die Sache eigentlich wert ist, und ich komme mir auch etwas dumm vor. Aber ich spüre, das er etwas auf dem Herzen hat, und sage ›na schön, gehen wir.‹ Wir nehmen meinen Dodge, und bis wir in Miami Beach angekommen sind, hat Vic schon eine Dose Bier geleert, die er aus meinem Kühlschrank hatte mitgehen lassen. War früher nie sein Getränk. Naja, und dann gehen wir tatsächlich nicht etwa zu einem der Hotels an der Promenade, wo getanzt wird, sondern an den Strand. Nachdem Vic noch im Puerto Sagua ein paar Flaschen Wein gekauft hat. Wir sind also am Strand, und Vic geht auf und ab, trinkt und redet, faselt etwas davon, dass Eva nicht Eva, sondern Pandora wäre. Das ergibt für mich keinen Sinn - seine Frau hieß Elaine. Dann erzählt er mir, dass er einen Wettlauf mit der Zeit begonnen hätte und alles früher oder später wie ein Kartenhaus zusammenstürzen würde. ›Ich brauche ein Wunder‹, sagt er, und wenn Sie Vic mit seinen Wissenschaft-und-Logik-über-allem-Parolen kennen würden, dann wüssten Sie, wie verrückt das von ihm klang. Ich frage ihn also, ob er sich scheiden lassen wolle, ob es daran läge, und er starrt mich an, als wäre ich verrückt geworden. ›Nein‹, sagt er. Er liebe Elaine, und nur Elaine. Dann fragt er mich, was meiner Meinung nach wichtiger sei, die Pflicht seinem Land oder dem Rest der Welt gegenüber. Also, ich war bei den Marines. ›Semper fidelis‹, sage ich. ›Ewig treu‹, wiederholt er. Und das ist es, was die Menschen rettet.«
    Lázaro unterbrach sich und warf Neil einen missbilligenden Blick zu.
    »Sie stochern«, sagte er. »Das ist Lechon vom Versailles, und Sie stochern wie ein Weib darin herum.«
    »Das liegt an Ihrer Erzählung«, antwortete Neil, während Suárez feixte. »Vergessen Sie nicht, ich bin Schriftsteller. Für uns sind gute Geschichten Nahrung. Zwei hervorragende Mahlzeiten gleichzeitig zu würdigen, fällt schwer.«
    Lázaro, der während seiner Erzählung unbekümmert seinen in Brot gebackenen Rinderbraten zerlegt und zwischen drei Sätzen zerkaut hatte, zuckte die Achseln.
    »Auf den Mund gefallen sind Sie jedenfalls nicht«, kommentierte er. »Aber ich will Sie nicht

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