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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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langweilig anzuhören, aber ich muss zugeben, ich habe sie in der Veröffentlichung zugunsten der Berichte über die hygienischen Verhältnisse gekürzt.«
    »Und wenn ich Ihnen von Victor erzähle - wird das dann auch, gekürzt zugunsten von irgendwelchen Vorwürfen gegen die Regierung?«
    »Sie werden das Manuskript vorher zu sehen bekommen«, sagte Neil ernst und in dem Bewusstsein, dass die meisten Leute eine derartige Äußerung dahin gehend verstanden, dass sie ein Korrekturrecht haben würden - was nicht versprochen worden war. Überdies würde Lázaro Horta bei Einsicht des Manuskripts ohnehin feststellen müssen, dass das Thema nicht »Kubaner in den USA« lautete.
    »Ach, was soll’s«, sagte Lázaro unvermittelt. »An der Sache war etwas seltsam, das gebe ich zu. Ich hab nie ein gutes Gefühl dabei gehabt, wenn ich an meine letzte Begegnung mit… Aber erst bestellen wir.« Er schnippste mit den Fingern, und einer der in Grün und Weiß gekleideten Kellner eilte zu ihm.
    Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, setzte er sich zurück und starrte auf die Schwarzweißfotos des alten Havanna, die zwischen den Spiegeln hingen.
    »Vic und ich«, sagte er, »wir kannten uns schon als Jungen in der alten Heimat. Seine Mutter war Amerikanerin, daher der Vorname, obwohl sie immerhin ein Bernardo als Zugeständnis an seinen alten Herren dranhängte. Hat für irgend so eine Fluggesellschaft gearbeitet, Pan Am, glaube ich, als sie seinen Vater kennen lernte, der an der Universität von Havanna dozierte. Sie starb ziemlich früh, daher weiß ich das nicht genau. Als Batista gestürzt wurde, waren die Sanchez erst von Fidel begeistert, genau wie meine Familie. Mein Vater war Journalist. Aber dann bekamen wir die Kehrseite der glorreichen Revolution zu spüren. Meinem Vater wurde gesagt, was er zu schreiben hatte und was nicht. Und Vic und ich, wir hörten in der Schule, dass es unsere Pflicht sei zu berichten, ob unsere Eltern schlecht über den Maximo Lider sprachen. Ich glaube nicht, dass Vic und seinem Vater je etwas passiert wäre; verstehen Sie, damals war schon abzusehen, dass er ein Genie war, und so was verschafft immer Privilegien. Aber Vic war anständig. Meine Eltern hatten mir verboten, irgendjemandem zu erzählen, dass wir fliehen wollten. Naja, ich war halt ein Junge, und er war mein bester Freund. Also erzählte ich es ihm doch. Und Vic sagte sofort: Ich komme mit. Hier will ich nicht länger bleiben.«
    Neil hörte sich die Geschichte von der Flucht nach Amerika an, die gebührend dramatisch war, ihm jedoch bereits aus den frühen Artikeln über Victor Sanchez bekannt war. Bis das Essen eintraf, war Lázaro bei Sanchez’ Karriere in Amerika angekommen.
    »Nach seinem Durchbruch mit diesem Zeug für Zuckerkranke habe ich ihn dann weniger und weniger gesehen. Sämtliche Labors wollten ihn haben, er reiste zu Kongressen in aller Welt, und da war es nicht einfach, in Kontakt zu bleiben. Bei seiner Heirat war ich natürlich dabei.«
    »Seine Frau kam aus Nevada, nicht wahr?«, fragte Neil. »Mein Vater auch, daher fiel mir das auf.«
    »Ich dachte, Sie wären aus Louisiana«, warf Suárez ein.
    »Mein Vater starb sehr früh, und meine Mutter, die aus Louisiana stammte, zog zu ihrer Familie zurück«, entgegnete Neil und hoffte, dass es harmlos geklungen hatte.
    »Ja, sie war aus Nevada. Keine Ahnung, wie er sie kennen gelernt hat. Auf einem Kongress vermutlich. Ich glaube, ihr Fachgebiet war Molekularbiologie oder so ähnlich. Um ganz ehrlich zu sein, ich mochte sie nicht besonders, aber das kann auch daran gelegen haben, dass ich sie erst auf der Hochzeit kennen lernte. Und das Nächste, was ich höre, ist, dass Vic mich anruft und den Tränen nahe ist, weil er herausgefunden hat, dass sie keine Kinder kriegen kann. Das hat sie ihm natürlich vorher nicht gesagt. Es mag altmodisch klingen, aber meiner Meinung nach sollte eine anständige Frau ihren Mann nicht so täuschen. Jedenfalls war das auch meiner Ansicht nach der Grund, warum Vic sich aus der Öffentlichkeit zurückzog.«
    Neil, der versuchte sich an den Reis zu halten, der zu dem fetten Schweinefleisch und den noch fetteren frittierten Plantanen serviert wurde, schaute auf, während Lázaro etwas von dem Tafelwasser trank.
    »Sich wegen einer Ehekrise aus der Forschung zurückzuziehen, kommt mir etwas unwahrscheinlich vor«, bemerkte er und versuchte nicht daran zu denken, was der Zusammenbruch seiner eigenen Ehe für sein Schreiben bedeutet

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