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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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behaupten konnte. Dennoch, man vertraute auf ihr berufliches Ethos und ihre kühle Diskretion. Für ihren Beruf benutzte sie ohnehin ihren Mädchennamen, als Beweis ihrer Unabhängigkeit von den Ansichten ihres Mannes. Ihr gutes Aussehen hätte ebenso ein Nachteil wie ein Vorzug sein können, doch Deirdre kleidete sich betont konservativ und verzichtete auf kurze Röcke und eng anliegende Hosen, die sie privat gern trug. Diese Taktik hatte Erfolg; wenn man sie mit einer berühmten Blondine verglich, dann war es Grace Kelly, nicht Marilyn Monroe. Sie erwarb sich einen guten Ruf; die Mitarbeiter des Senators schätzten sie, der Senator schätzte sie, und ihre Beförderung nach dem Tod von Cunninghams alter Stabschefin überraschte niemanden.
    Es war der 11. September, der die Balance in Deirdres so sorgfältig geordnetem Leben zerstörte. Nein, nicht der 11. September, sondern die Art, wie Neil darauf reagierte, nachdem sein erster Schock einmal abgeklungen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es weder den Senator noch dessen Parteifreunde gestört, dass ihr Gatte der liberale Autor Neil LaHaye war. Es gab seltsamere Ehen in Washington, und sie hatte ihre eigene Einstellung und ihre Loyalität bewiesen. Aber selbst Reden für den Senator zu verfassen, in dem dieser die Notstandsgesetze unterstützte, während ihr Ehemann jeden Auftritt in einer Talkshow nutzte, um den US Patriot Act als Angriff auf die amerikanische Verfassung zu bezeichnen, zerriss die Trennung von Beruflichem und Privatem. Sie bildete sich ein, in jedermanns Augen die Frage lesen zu können, wie der Senator mit ihren Worten glaubwürdig die Einheit und Geschlossenheit des Landes beschwören konnte, wenn sie noch nicht einmal in der Lage war, ihrem eigenen Gatten klarzumachen, dass in solchen Notzeiten liberale Empfindlichkeiten zurückzustehen hatten.
    Während der Anthrax-Affäre im Oktober 2001 wurde es noch schlimmer. Neil schrieb über die Rechte von inhaftierten Ausländern, während Deirdre und ihre Kollegen Todesängste ausstehen mussten. Einer der innerparteilichen Rivalen des Senators nahm es auf sich, die Wähler in dessen Heimatstaat darauf aufmerksam zu machen, mit wem Cunninghams Stabschefin verheiratet war. Empörte Briefe waren die Folge. Am schlimmsten war, dass Deirdre selbst keine Antwort auf die stumme Frage in den Augen des Senators fand, bis er sie endlich laut aussprach und sie zum ersten und letzten Mal vor die Wahl stellte.
    Sie versuchte, nicht mehr daran zu denken. Aber sie hatte nicht vor, noch einmal mit Cunningham über irgendetwas zu sprechen, was mit Neil zu tun hatte.
    »Es ist nur der übliche Verkehrsstress, Senator«, erwiderte sie mit ihrem optimistischen Berufslächeln und verstaute die Verwünschungen in Neils Richtung in einer dunklen Ecke in ihrem Hinterkopf. »Heute Früh gab es einen Stau auf der 50.«
    »Sie wohnen immer noch draußen in Bowie, nicht wahr? Das ist nicht gut. Sie sollten in eines der inneren Viertel ziehen. In Georgetown haben sie gerade wieder ein paar schöne Häuser restauriert.«
    In den guten Vierteln von D. C. waren die Gebühren der Privatschulen unbezahlbar, von Mieten oder Grundstückspreisen ganz zu schweigen. Sie verdiente gut, und Neil zahlte regelmäßig Unterhalt für die Kinder, aber wenn sie nicht jedes Jahr mehr Schulden anhäufen wollte, blieben nur die Vorstädte.
    »In ein paar Jahren, Sir«, entgegnete Deirdre, die wusste, dass der Senator keine langatmige Antwort hören mochte. »Wenn Sie Präsident sind.« Er lachte und ging zum Beruflichen über.
    »Al Nichols erzählte mir, dieses Gerücht über neue Direktiven für die Food & Drug hielte sich immer noch. Sind Sie sicher, dass da nichts dahinter steckt?«
    »Drei verschiedene Quellen haben mir bestätigt, dass nichts Konkretes vorliegen kann, Senator.«
    »Hm. Könnte sein, dass wir selbst etwas in Bewegung bringen müssen. Wissen Sie, der Lunch mit Nichols hat nicht deshalb so lange gedauert, weil Al mir wieder vom Golf erzählen musste. Armstrong war ebenfalls im Herber Inn.«
    »Mr. President?«, fragte sie, und der Senator machte ein schiefes Gesicht. Dass sich Armstrong so anreden ließ, lag ihm im Magen; er respektierte das Amt und die Tradition des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu sehr, um einem Pharmamagnaten einen solchen Titel leichtherzig zuzugestehen. Für jemanden wie Cunningham, der selbst das Weiße Haus im Auge hatte, wirkte die Herabwürdigung des Titels zu einem Spitznamen wie eine doppelte

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