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Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Solange sie das Haus beobachtete, hatte er es jedenfalls noch nicht verlassen.
    Die Voraussetzungen schienen günstig, aber sie durfte nichts überstürzen. New Stanford war nicht Patonga, und sie musste um jeden Preis vermeiden, dass die Behörden auf sie aufmerksam wurden. Aus dem gleichen Grund hatte sie die zeitraubende Überfahrt an Bord eines Erzfrachters, auf dem niemand überflüssige Fragen stellte, bequemeren Reisemöglichkeiten vorgezogen. Ihre Dokumente waren perfekt, doch sie mochte keine Körperscanner, wie sie bei Passagierkontrollen gang und gäbe waren. Es gab Dinge, die besser im Verborgenen blieben.
    Jetzt war sie jedenfalls hier, und die Zeit des Wartens näherte sich dem Ende.
    John Varley. Die Frau mochte ihn aus Gründen, über die sie sich nur ungern Rechenschaft ablegte. Vielleicht rührte sie seine Naivität. Johnny war der Gegenentwurf zu den Männern, mit denen sie sonst zu tun hatte – ein Narr, der mit verbundenen Augen durch ein Minenfeld lief. Vermutlich ahnte er nicht einmal, was sie für ihn getan hatte …
    Auf Patonga hätte er keine 24 Stunden überlebt, wenn er tatsächlich versucht hätte, »vor Ort« zu recherchieren. Ein Kalang, der außerhalb der Touristenzone herumlief und verfängliche Fragen stellte, endete früher oder später entweder als Fischfutter oder bei den Fleischern, die die Organhändler belieferten. Also hatte sie dafür gesorgt – wenn auch nicht unbedingt aus reiner Nächstenliebe –, dass er im Hotel blieb und ihr die erforderlichen Nachforschungen überließ. Sie hatte sich sogar den Luxus gegönnt, ihn vor ihr selbst zu warnen, aber natürlich hatte er die Anspielung nicht verstanden. Allerdings hatte sie ihm auch nicht die volle Wahrheit gesagt, denn selbst eine Zaramu konnte ihr Geschlecht nicht verleugnen. Johnny war ein Narr, aber sie war gern mit ihm zusammen gewesen. Einmal – im Halbschlaf oder Traum – hatte er sie »Schneewittchen« genannt. Der Name hatte ihr zunächst nichts gesagt, doch sie mochte ihn, erst recht, nachdem ihr eine Abfrage den Zusammenhang klargemacht hatte. Sie war nie ein Kind gewesen, dem man Märchen vorlas – auch diesen Brauch hatte sie dem angeforderten Dossier entnommen –, und so rührte die Geschichte eine Saite in ihr, von deren Existenz sie bis dahin nichts geahnt hatte: So weiß wie Schnee, so rot wie Blut … Die Frau hatte sich auf ihre Art revanchiert, die einzige, die sie kannte, und anders als sonst hatte sie sich danach weder schäbig noch benutzt gefühlt.
    Dennoch hatte sie ihren Auftrag keine Sekunde aus den Augen verloren. Da Johnny sich anderenfalls nur selbst in Gefahr gebracht hätte, hatte sie auch die Recherche bezüglich der Pflegeeltern selbst übernommen und schließlich herausgefunden, wo sich die Matsumos aufhielten. Sie war von Anfang an skeptisch gewesen, aber aus irgendeinem Grund war Johnny nicht davon abzubringen gewesen, sich mit ihnen zu treffen. Also hatte sie ihm auch dabei geholfen, und es war nicht ihre Schuld gewesen, dass es am Ende schiefgegangen war. Die beiden Utari waren zwar alt gewesen, jedoch keineswegs so harmlos und gastfreundlich, wie sie auf den ersten Blick erschienen.
    Von all dem konnte John Varley natürlich nichts wissen, dort unten in seinem stillen, dunklen Haus. Wahrscheinlich schlief er längst, und das war gut so, denn ihr Besuch sollte eine Überraschung sein.
    Die Frau lächelte gedankenverloren und genoss für ein paar Sekunden die Wärme, die die Vorstellung in ihr auslöste. Dann straffte sich ihre Gestalt und sie sah sich noch einmal aufmerksam nach allen Seiten um, bevor sie sich an den Abstieg machte.
      
    In dieser Nacht hatte John Varley einen überaus realistischen Traum. Er hatte schon häufiger von Ailin geträumt, war ihr dabei aber nie wirklich nahe gekommen. Meist waren die Umstände bizarr gewesen; er hatte versucht, ihr zu folgen, aber die Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, waren unüberwindbar.
    Diesmal jedoch war es anders. Als er die Augen aufschlug, erkannte er nicht nur sein Hotelzimmer auf Patonga wieder, sondern wusste aus einem beinahe übermächtigen Déjà-vu-Gefühl auch genau, was folgen würde, als sich die Zimmertür beinahe lautlos öffnete. Wie damals nahm er als Erstes den Duft ihres Parfums wahr, und obwohl er das alles schon einmal erlebt hatte, faszinierte ihn auch diesmal die aufreizende Gelassenheit, mit der sie sich im matt-grünlichen Schimmer des Nachtlichtes ihrer Kleidung entledigte, scheinbar ohne

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