Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
zu behandeln.«
»Hattest du diesen Eindruck?«, erwiderte die Frau mit einem anzüglichen Lächeln, aber diesmal verfing die Anspielung nicht. Das Tier hatte sich in seine Höhle zurückgezogen und schlief.
»Netter Versuch, aber du weißt genau, was ich meine.« Sie war in der Defensive, und er musste nur warten.
»Also gut«, sagte sie nach einer Weile und hob den Blick. Ihre Augen waren noch immer tiefblau, aber sie leuchteten nicht mehr. Es war, als habe sich eine dunkle Wolke zwischen Himmel und Meer geschoben. »Doch es wird alles zerstören.«
»Das wird es nicht«, erwiderte er überzeugt. »Du solltest mich nicht unterschätzen, oder glaubst du tatsächlich, ich wäre damals nur aus Dankbarkeit mitgekommen?«
»Nein, weil du ein Narr bist.« Sie lächelte melancholisch.
»Bestimmt, aber vor allem bin ich neugierig.«
»Dann soll es so sein«, sagte die Frau traurig. »Du solltest allerdings wissen, dass ich dich töten muss, wenn du auch nur ein Wort davon verrätst – auch deinem Freund James gegenüber.«
»Du solltest mich eigentlich besser kennen.«
»Dafür hatten wir nicht die Zeit.«
»Du hast vielleicht andere Maßstäbe.« Er lächelte.
»Genauso ist es, du bist ein kluger Narr, John Varley.« Zum ersten Mal lag in ihrem Blick so etwas wie Anerkennung.
Als Johnny nicht antwortete, zuckte sie resigniert mit den Schultern und begann zu erzählen: »Offiziell gilt Patonga innerhalb der Föderation als Kolonialplanet, der erst nach Entdeckung der heute vorwiegend touristisch genutzten N-Raum-Trasse besiedelt wurde. Da sämtliche Aufzeichnungen durch den Crash gelöscht wurden, hat sich dieser Irrtum bis heute gehalten. Tatsächlich lebte unser Volk aber schon viele Jahre dort, als die ersten Sprungschiffe aus den Kernwelten eintrafen. Da sich die Kolonisten zunächst in den Küstenregionen ansiedelten, gab es kaum Berührungspunkte und somit auch keinerlei Probleme.«
»Ihr seid also die Nachfahren der Eingeborenen?«, fragte John erstaunt. »Irgendwann hätte das doch jemandem auffallen müssen.«
»Nein.« Ailin schüttelte den Kopf. »Wir stammen genauso von der alten Erde und sogar aus Südostasien wie die meisten Kolonisten, allerdings aus einer relativ abgelegenen Bergregion, in die sich normalerweise kaum ein Fremder verirrte.«
»Und wie sind deine Leute dann nach Patonga gekommen, wenn nicht mit den Auswanderern?«
»Auf ziemlich direktem Wege.« Die Frau lächelte, als sie Johns skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich weiß, das klingt ziemlich abenteuerlich, aber es ist nun einmal die Wahrheit. Es gibt eine zweite Verbindung.«
»Zur alten Erde? Das glau…« Er brach ab und biss sich auf die Lippen. »Ich meine, das klingt mehr als abenteuerlich.«
»Wenn du schon damit Probleme hast, sollte ich die eigentliche Geschichte vielleicht besser für mich behalten«, erwiderte Ailin schulterzuckend. »Die hört sich nämlich tatsächlich wie eines der alten Märchen an. Und das meiste kenne selbst ich nur vom Hörensagen.«
Obwohl sie versuchte, gelassen zu erscheinen, ruhte ihr Blick so dunkel und nachdenklich auf ihm, dass John sich zunehmend unwohl fühlte. Es musste eine besondere Bewandtnis mit dieser Geschichte haben, von der Ailin sprach, und offenbar bereute sie ihren Entschluss bereits …
»Erzähl einfach«, bat er und räusperte sich. »Ich werde dich nicht mehr unterbrechen.«
»Also gut. Der Überlieferung zufolge ereignete es sich zu einer Zeit, als die Götter den Menschen noch näher waren und ihre Anrufung an glücklichen Tagen erhört wurde. Der Ort, an dem diese Rituale stattfanden, war so geheim, dass nur die Stammesältesten ihn kannten und ihr Wissen erst weitergaben, wenn sie den Tod nahen fühlten. Es waren lediglich niedere Wächtergötter, die ihnen erschienen, denn sie waren noch an ihre Körper gebunden, dennoch bewahrheiteten sich ihre Voraussagen stets …«
… Eines Tages, so die Überlieferung, folgte eine junge Frau namens Nang Sida den alten Männern heimlich, ohne dass diese sie bemerkten. Seit dem Tod ihres Manns war Nang Sida ein wenig wirr im Kopf und ihre Neugier stärker als die Angst vor Strafe. Sie verbarg sich hinter einem Gebüsch, als die Alten die Götter anriefen und – wie es das Schicksal wollte – Erfolg hatten. Doch als sich der Gerufene in seiner strahlenden Erhabenheit zeigte, verlor die junge Frau jegliche Beherrschung und trat wie in Trance aus dem Gebüsch hervor. Zu ihrem Glück bemerkten die Ältesten
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