Götterdämmerung: Das Todes-Labyrinth (German Edition)
Sekunden in den N-Raum eintreten. Bitte nehmen Sie eine entspannte Haltung ein und atmen Sie ruhig und kontrolliert.«
Sehr fürsorglich , dachte John. Er musste Ailin nicht ansehen, um sich ihr spöttisches Lächeln vorzustellen. Im Grunde war er auch zu müde, um sich noch einmal aufzurichten. Johnny schloss die Augen und genoss die angenehme Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete. Das Surren, mit dem die Rückenlehne seines Sessels nach hinten glitt, nahm er nur beiläufig wahr, ebenso den Countdown der Lautsprecherstimme des Schiffsrechners: 5 … 4 … 3 … 2 … 1 … 0. Er verspürte kurz ein unangenehmes Zucken wie von einem leichten elektrischen Schlag, dann wurde es dunkel – und still.
Im N-Raum sank die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen schlagartig auf null. Das galt irritierenderweise auch für den Körperschall, sodass man während des Transfers buchstäblich sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte.
Dunkelheit hatte keine Nuancen, Stille schon.
Für jemanden, der den Transfer mit wachen Sinnen absolvierte, war die absolute Lautlosigkeit das größte Problem. Die Unmöglichkeit, auch nur das geringste Geräusch wahrzunehmen oder selbst zu erzeugen, führte zu Beklemmungen, Panikattacken und anderen psychotischen Reaktionen.
Von derlei Kalamitäten war Johnny weit entfernt. Sein Bewusstsein schwebte friedlich zwischen Traum und Wirklichkeit und bedurfte keinerlei äußerer Stimuli. Irgendwo in diesem dunklen Nachen des Wohlbehagens war zwar noch der Gedanke an Stamfani, aber auch der beunruhigte John im Moment kaum. Der Transfer konnte schließlich nicht ewig dauern, und danach würde er weitersehen …
Erst als ein erneuter Stromstoß – es war natürlich keiner, fühlte sich aber so an – seinen Körper durchzuckte, meldete sich die Welt der Farben und Geräusche zurück und stürmte mit aller Macht auf Johns Sinne ein. Nach einem vergeblichen Versuch, sich in sein dunkles Schneckenhaus des Halbschlafs zurückzuziehen, öffnete er blinzelnd und widerwillig die Augen. Das Licht erschien ihm unnatürlich grell und die Geräuschkulisse beinahe unerträglich.
Die Wirkung des Beruhigungsmittels ließ rasch nach. Noch immer ein wenig benommen, richtete sich John auf und versuchte, sich zu orientieren. Mit enervierender Beharrlichkeit verkündete die Stewardessenstimme den Wiedereintritt in den Normalraum und forderte ihn auf, einen Bestätigungscode einzugeben. Natürlich musste sich die Schiffs-KI versichern, dass die Besatzung wohlauf und Herr ihrer Sinne war; den drängenden, fast ultimativen Unterton der Aufforderung empfand er dennoch als eine Zumutung.
Er widerstand der Versuchung, sich zurückzulehnen und wieder die Augen schließen, und fixierte seine Aufmerksamkeit auf die Tastatur. Wider Erwarten hatte bereits sein erster Eingabeversuch Erfolg, und die Lautsprecherstimme verstummte.
»Na also, es geht doch«, kommentierte Ailin – hellwach und hörbar gut gelaunt – den Erfolg seiner Bemühungen. Zweifellos hätte sie den Bestätigungscode auch selbst eingeben können, aber derlei Aktivitäten lagen ihr fern. Anscheinend war sie der Auffassung, dass alles, was mit Technik zu tun hatte, Johns Angelegenheit war …
Als John endlich den Knopf gefunden hatte, der die Rückenlehne wieder in die Senkrechte beförderte, drehte er seinen Sessel in ihre Richtung und sah seine Vermutung bestätigt. Ailin wirkte so munter und unternehmungslustig wie immer und musterte ihn mit kaum verhohlener Belustigung.
»Du hättest das Zeug ja nicht nehmen müssen«, bemerkte sie bar jeglichen Mitgefühls. »Dann wäre mit dir auch wieder etwas anzufangen.«
Johnnys Müdigkeit verflog.
»Und woran hattest du dabei gedacht?«
Er erwartete keine direkte Antwort. Ein Lächeln oder ein auffordernder Blick würden genügen, um das Karussell wieder in Bewegung zu bringen und ihn vergessen zu lassen, dass sie seit über dreißig Stunden auf den Beinen waren.
»Du könntest mir zum Beispiel helfen, auf andere Gedanken zu kommen«, erwiderte die Frau unerwartet ernst. »Normalerweise habe ich keine Probleme damit, aber diesmal lässt es mich einfach nicht wieder los …«
»Es – was meinst du damit?«
»Dieses Nicht-Meer, das ihr N-Raum nennt.« Ailin suchte nach Worten. »Man treibt darin, als wäre es nie anders gewesen. Nichts ist mehr von Bedeutung. Ich weiß nicht, ob es ein Versprechen ist, aber wenn, dann gibt es keinen Grund, sich zu fürchten. Man kehrt einfach
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