Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Doch der junge Mann, Farr schätze ihn auf Anfang dreißig, gehörte nicht zum Militär, sondern war mit einem Besuchervisum auf den Stützpunkt gekommen. Das war insofern bemerkenswert, weil derlei Genehmigungen nur in begründeten Ausnahmefällen erteilt wurden; zudem galten auf der Basis selbst die Wohnanlagen der Mitarbeiter als militärischer Sicherheitsbereich. Der Besucher passierte die Sicherheitsschleuse jedoch unbeanstandet, und kaum zwei Minuten später standen sich die beiden Männer in Farrs Arbeitszimmer gegenüber.
Zu Farrs Verblüffung stellte er sich nunmehr als Pater Markus und Mitarbeiter des Provinzials für die südöstlichen Territorien vor. Obwohl Farr nur vage Vorstellungen bezüglich der Ordenshierarchie hatte, schien sein Besucher eine zumindest für sein Alter herausgehobene Position einzunehmen.
Er bemühte sich, sein Erstaunen hinter der gebotenen Höflichkeit zu verbergen. Dennoch glaubte er im Blick des jungen Mannes eine Spur Amüsement wahrzunehmen – so als habe sein Gast genau diese Reaktion erwartet.
Die Repräsentanten des Ordens galten – selbst bei ihren Kritikern – als äußerst diszipliniert, zielstrebig und psychologisch geschult. Die Universität Agion Oros genoss insbesondere auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften einen hervorragenden Ruf, obwohl nur ein geringer Prozentsatz der dort verfassten Arbeiten überhaupt den Weg nach draußen fand.
Bislang hatte Farr keinerlei Beziehungen zu Mitgliedern des Ordens der Heiligen Madonna der letzten Tage gepflegt, auch wenn er – wie wohl die meisten Raumfahrer – schon häufiger auf die symbolträchtigen Hinterlassenschaften der unermüdlichen Ordensmänner gestoßen war. All das ließ den Besucher in einem noch seltsameren Licht erscheinen, was Farr – obwohl ihm kein einziger rationaler Grund dafür einfiel – mit einem gewissen Unbehagen erfüllte. Dennoch übernahm er, kaum dass sein Gast im Arbeitszimmer Platz genommen hatte, selbst die Initiative.
»Sie haben gewiss eine anstrengende Reise hinter sich, Pater, und all das nur, um einem pensionierten Offizier unserer weltlichen Streitkräfte Ihre Aufwartung zu machen?«
Der Besucher lächelte, und seltsamerweise hatte Farr den Eindruck, dass sich dahinter eine Spur Anerkennung verbarg.
»Sie haben recht, Colonel. Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Andererseits hätten wir Sie niemals behelligt, wenn die Angelegenheit nicht so eminent wichtig wäre.«
»Welche Angelegenheit?« Natürlich ahnte Farr, worauf der Ordensmann anspielte, aber Angriff war noch immer die beste Verteidigung.
»Zwei Sterne sind binnen kürzester Zeit explodiert«, erwiderte der Besucher ernst, »und weder die Regierung noch das Militär sind bereit, eine Erklärung zu diesen Vorgängen zu liefern. Sie waren nicht nur Augenzeuge, Colonel, sondern waren dem Vernehmen nach auch direkt in die Ereignisse involviert.«
»Das könnte man so ausdrücken, Mr. Leonhardt. Aber wenn Sie so gut informiert sind, wie es den Anschein hat, dann wissen Sie auch, dass ich Ihnen in den entscheidenden Punkten nicht weiterhelfen kann. Niemand kennt den Funktionsmechanismus der Waffe. Die Physiker, die ich in dieser Angelegenheit konsultiert habe, bestreiten sogar, dass der Bau einer derartigen Bombe auch nur theoretisch möglich ist.«
»Das deckt sich mit den Ergebnissen unserer eigenen Recherchen, Colonel. Aber da die Explosionen nun einmal stattgefunden haben, hilft uns das nicht weiter. Wenn die Waffe nicht von Menschen gebaut wurde, von wem dann? Und wie gelangte sie in den Besitz des Militärs?«
Sie wissen von Miriam, dachte Farr beunruhigt. Deshalb ist er hier.
»Darüber gibt es bislang nur Spekulationen«, erwiderte er abweisend. »Nichts, was einer Überprüfung standhalten würde. Abgesehen davon dürfte ich Ihnen auch nichts sagen, wenn es anders wäre. Aber gestatten Sie mir eine Gegenfrage …«
»Gern.« Die Miene seines Gegenübers verriet keinerlei Unmut.
»Inwiefern berühren diese Ereignisse überhaupt die Interessen des Ordens? Da Sie ohnehin davon ausgehen, dass die Tage der Menschheit gezählt sind, müssten Sie sich doch eher bestätigt fühlen.«
Pater Markus lächelte: »Ich fürchte, Sie sind hier einem semantischen Irrtum aufgesessen, Colonel. Unsere Gemeinschaft ist keine Weltuntergangs-Sekte. Und die ›letzten Tage‹ spielen auch nicht auf irgendein Katastrophen-Szenarium an. Für uns stehen sie als Synonym für den Übergang zwischen Irdischem und Jenseitigem. Das
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