Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
würde mich gern noch etwas ausruhen.«
Farr fragte nicht nach, was dieses ›Noch‹ zu bedeuten hatte. Es hatte ohnehin nichts mit ihm zu tun. Außerdem beschäftigte ihn etwas anderes – ein Verdacht, der noch nicht in Worte zu fassen war, sich aber dennoch wie ein Stachel in seinem Hirn festsetzte.
Halb abwesend folgte er der Ortega zum Lift und später durch einen spärlich beleuchteten Gang zu den Kabinen. Ihr Orientierungsvermögen war tatsächlich beeindruckend. Sie verabredeten sich zum Abendessen, und als Farr ihr an der Tür noch einmal zuwinkte, glaubte er eine Spur Besorgnis in ihrem Blick zu erkennen. Aber vielleicht bildete er sich das nur ein.
Die Kabine war klein, aber praktisch eingerichtet. Das Bett ließ sich in die Wand versenken und schuf Raum für ein winziges Büro mit Klappschreibtisch und Multimedia-Terminal. Farr verstaute seine Reisetasche und loggte sich sofort ein. Vielleicht gab es ja Neuigkeiten. Sein virtuelles Postfach enthielt ein halbes Dutzend neuer Nachrichten. Er hatte es auf dem Hinflug eingerichtet, als ihm klar geworden war, dass die behäbige Verbindung zur Sphere keine sinnvolle Recherche erlaubte. Sie waren hier in der Provinz und der angeblich unlimitierte ALLNET -Zugang erwies sich als ein einziger Etikettenschwindel. Notgedrungen hatte er die wichtigsten Aufträge an Johnny weitergeleitet, einen Freund aus Collegetagen, der seine Brötchen mit mehr oder weniger legalen Dienstleistungen im Informationsbereich verdiente.
Die Dossiers, die Farr angefordert hatte, enthielten überwiegend Informationen über die Aktivitäten der Leandros-Gruppe und die Familie selbst. Doch bevor er sie sich in Ruhe ansehen konnte, musste er sich um diese mysteriöse Bootsunfallgeschichte kümmern. Ray stellte die wichtigsten Daten zusammen, formulierte eine kurze Nachricht, verschlüsselte sie und beförderte sie in den Postausgang. Wenn an dieser Angelegenheit etwas faul war, dann würde Johnny es herausfinden, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Dass er sich dennoch unbehaglich bei dem Gedanken fühlte, die Nachforschungen aus der Hand zu geben, hatte einen anderen Grund: Niemand konnte wissen, wie brisant diese Informationen waren – und wie gefährlich für jene, die sich dafür interessierten. Die zweite Mail, die Farr an Johnny schickte, enthielt deshalb nur vier Worte: »Pass auf dich auf!«
»Sie sind eben gestartet«, sagte der dunkelhaarige Barmann, nachdem das Shuttle abgehoben hatte und das Dröhnen der Triebwerke verstummt war. »Natürlich, Mr. Procturro, ich schicke Ihnen die Aufnahme auf dem üblichen Wege … Ja, ich weiß, dass es wichtig ist … Bis später.«
Die Abfertigungshalle war jetzt vollkommen verwaist, nachdem die letzten Passagiere das Gebäude verlassen hatten. Auch der Zollbeamte hatte sich bereits verabschiedet, und der Abfertigungsschalter war geschlossen.
Der Barmann sammelte das verbliebene Geschirr ein und wischte die Tische ab. Dann sah er sich noch einmal aufmerksam um, bevor er den Kugelschreiber zur Hand nahm, der die ganze Zeit über auf der Theke gelegen hatte, und ihn auf das Transponderfeld seines Compads legte. Er wählte einen verschlüsselten Kanal und aktivierte die Datenübertragung. Es dauerte nur Sekunden, bis die Gegenstelle den Empfang quittierte. Dann löschte er den Speicher und legte den Stift zurück an seinen Platz. Der Mann wusste nicht, was es mit den beiden Fremden auf sich hatte, denen sein Auftrag galt. Und er war auch nicht neugierig. Malmari Bay war ein wunderschöner Ort, und er hatte eine Familie zu ernähren. Der Mann war in seinem Leben nicht immer Barkeeper gewesen, aber die Vergangenheit war tot und das sollte auch so bleiben. Natürlich gab es Tage, an denen Nikolas Gouvias – das war der Name in seinen Papieren – an der Realität seines neuen Lebens zweifelte, aber er stellte keine Fragen. Manchmal kam er sich vor wie in einem Traum, in dem ein falsches Wort alles zerstören konnte …
Der Besucher
Eine Woche nach seiner Rückkehr nach Tharsis Base erhielt Raymond Farr Besuch. Er hatte inzwischen offiziell seinen Abschied eingereicht und erwartete jeden Tag die offizielle Bestätigung durch das Oberkommando. Deshalb hielt er den korrekt gekleideten jungen Mann, der sich als Markus Leonhardt vorstellte und einen dunklen Aktenkoffer bei sich trug, zunächst auch für einen Mitarbeiter der Admiralität. Vielleicht war es ja üblich, die Entlassungspapiere persönlich zu übergeben.
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