Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Dominiert wurde das Ensemble von der gewaltigen, fast fensterlosen Front einer Basilika, deren Turm von dieser Seite aus jedoch unsichtbar blieb.
»Die Kirche wurde zum Teil mit den Originalsteinen der Sanctae Mariae de Aracoeli errichtet, die bei der Erstürmung Roms von Shariatstruppen niedergebrannt wurde«, erklärte Pater Markus andächtig. »Zum Glück waren die Architektur des Innenraums und die Fresken sehr gut dokumentiert, sodass es möglich war, den Originalzustand weitgehend wiederherzustellen. Gottesdienste finden hier allerdings nur an hohen Feiertagen statt.«
»Und sonst ist sie verschlossen?«
»Natürlich nicht, aber die Patres sind gehalten, ihr Vorrecht des freien Zugangs verantwortungsvoll wahrzunehmen. Deshalb verrichten sie ihre Gebete und Exerzitien normalerweise in den Andachtsräumen.«
»Und wo sind die Gäste untergebracht?«, wechselte Farr das Thema. Die Kirche konnte er auch zu einem späteren Zeitpunkt besuchen. Obwohl sie erst seit wenigen Minuten zu Fuß unterwegs waren, fühlte er sich bereits erschöpft. Vielleicht war es auch die Weitläufigkeit der Anlage und die Wucht der hohen Mauern, die ihn niederdrückte.
»Keine Sorge, wir sind auf dem Weg dorthin«, vertröstete ihn sein Gastgeber. »Ich wollte ohnehin vorschlagen, dass Sie sich erst ein wenig erholen, bevor wir den ersten Termin wahrnehmen.«
»Einverstanden, finde ich dort auch mein Gepäck?«
»Nein, Sie sind hier Teil unserer Gemeinschaft und erhalten so auch alles Notwendige von uns. Wenden Sie sich bitte an den zuständigen Subcellerar, wenn Sie etwas benötigen … Aber keine Sorge«, fuhr er fort, als er Farrs irritierten Blick bemerkte. »Es wird alles bis zum Rückflug für Sie verwahrt.«
»Sehr beruhigend«, murmelte Farr pikiert. »Wie lange darf ich Ihre Gastfreundschaft denn genießen?«
»Das hängt nicht nur von uns ab«, erklärte der Priester. »Die Patres, die auf dem Heiligen Berg Dienst tun, werden uns hoffentlich rechtzeitig informieren. – So, da wären wir schon.«
Sie standen vor einem lang gestreckten zweistöckigen Wohntrakt, der wie die meisten Gebäude gleichzeitig Teil der Außenbegrenzung war. Das untere Stockwerk war ebenerdig, das zweite über eine Treppe zur Galerie zu erreichen, die im Schatten lag, sodass man die Türen zu den einzelnen Zellen nur erahnen konnte.
»Folgen Sie mir bitte nach oben«, gebot Pater Markus und ging die Treppe zum Obergeschoss voran. Vor einer Tür, die sich für Farr in nichts von Dutzenden anderer unterschied, blieb er stehen und öffnete: »Bitte sehr, Commander. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Ich hole Sie in zwei Stunden ab, wenn es Ihnen recht ist.«
»Danke, Pater«, murmelte Farr halb abwesend.
Das Zimmer war nicht groß, aber hell und freundlich. Farr hatte befürchtet, dass das winzige Fenster zum Gang das einzige wäre, aber dem war nicht so. Die Möblierung war einfach, aber solide und erinnerte ein wenig an seine Kabine auf der Gryphus. Es gab einen Kleiderschrank, ein Schreibpult, ein Bücherbord, zwei Stühle und einen kleinen Nachttisch.
Das obligatorische Marienbild fehlte ebenso wenig wie ein Kruzifix über der Bettstatt.
Neugierig öffnete Farr den Kleiderschrank und fand eine weiteres komplettes Habit, Baumwollunterwäsche und Nachtzeug. Dazu kamen Sandalen und ein Paar fester Schuhe. Sogar die Schuhgröße schien zu stimmen; seine Gastgeber hatten wohl an alles gedacht …
Durch das Fenster bot sich ein faszinierender Blick auf die Umgebung. Terrassenförmig angelegte Weinberge wechselten mit dunklen Zypressenwäldchen und blühenden Orangenhainen – eine üppige Gartenlandschaft, die sich, so weit das Auge reichte, hangaufwärts zog. Das Ende des Anstiegs oder gar die Bergkuppe waren von Farrs Standort nicht auszumachen. Wahrscheinlich überblickte er von dieser Stelle auch nur einen kleinen Abschnitt des »Heiligen Berges«, der diesen Ort offenbar nicht nur spirituell, sondern auch physisch dominierte …
Farr genoss den Ausblick noch für ein paar Sekunden, dann gewann die Müdigkeit die Oberhand.
Er hatte sich kaum niedergelegt, als sein Blick auf einen schmalen Hefter fiel, den jemand auf seinem Nachttisch abgelegt hatte. Ohne größere Erwartungen – er rechnete mit einem Inventarverzeichnis oder einer Sammlung religiöser Texte – schlug Farr die Mappe auf und war schlagartig hellwach.
Es war ein Dossier über die Leandros-Gruppe, daran bestand nicht der geringste Zweifel! Einen Moment lang hegte Farr
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