Götterdämmerung (German Edition)
traue ich mich auch nach Hause. Und die Verrückten lassen dich in Ruhe?“
Daniel seufzte. „Ich fühle mich wirklich nicht besonders. Lass uns später reden, ja? Du musst aber nicht meinetwegen herkommen.“
„Also gut. Ich rufe dich heute Nachmittag wieder an.“
„Mmh. Tschüss.“ Er legte auf.
Das war das zweite Mal, dass Eva sich Sorgen machte.
Sie starrte aus dem Fenster und beeilte sich, mit dem Frühstück fertig zu werden. Gerade hatte sie den letzten Bissen Brot im Mund, als ein groß gewachsener Mann im Maßanzug auf sie zukam und sich als stellvertretender Hotelmanager vorstellte. Er reichte ihr nicht die Hand.
„Es tut mir leid, dass wir Ihnen kein zufriedenstellendes Büfett bieten können“, sagte der Manager. „Aber uns fehlen fast zwei Drittel unserer Angestellten.“ Eva sah ihn erschrocken an.
„Wie lange haben sie gebucht?“, wollte der Mann wissen.
„Nur für eine Nacht, aber ich wollte meinen Aufenthalt eventuell verlängern. Wieso?“
„Wir müssen in den nächsten Tagen voraussichtlich den Betrieb einstellen. Können Sie irgendwo unterkommen?“
„Ja. Ich –“
„Ich wollte nur, dass Sie Bescheid wissen. Sie können selbstständig auschecken, falls gerade kein Mitarbeiter zur Verfügung steht.“ Er nickte ihr zu und verließ das Restaurant.
Eva trank hastig ihren Kaffee aus. Dann lief sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, wo sie den Fernseher einschaltete.
Der erste Nachrichtenkanal lieferte Bilder von überfüllten Krankenhäusern und hilflosen Politikern, die wenig überzeugend versuchten, die Bevölkerung zu beruhigen. Eine blonde Sprecherin im blauen Kostüm sprach mit ernster Stimme von einer Epidemie, ausgelöst durch eine bislang weitgehend unbekannte Krankheit, HMO A16 genannt. Die Infektion werde von einem Virus ausgelöst, das das Militär vor Jahren entwickelt habe. Die Entwicklung sei jedoch eingestellt worden, weil sich das Virus nicht beherrschen lasse. Bislang sei unklar, wie es in Umlauf geraten konnte. Möglicherweise handele es sich um einen Anschlag, zu dem sich allerdings noch keine Organisation bekannt habe. An der Entwicklung eines Gegenmittels werde bereits gearbeitet, es sei jedoch nicht absehbar, wann es erste Resultate gebe. Die Krankheit habe bereits tausende Todesopfer gefordert.
Eva sank auf die Couch und schlug die Hände vor den Mund. HMO A16. Und sie hatte noch nichts von der Krankheit gehört.
Sie schaltete um, aber die Krankheit war das beherrschende Thema auf allen Kanälen. Nur die Kinderkanäle sendeten tapfer Fox, den kleinen blauen Außerirdischen, der mit seiner birnenförmigen Rakete das Leben in den futuristischen Mondkolonien durcheinander wirbelte oder Lulu, das Eichhörnchen, das stets vergaß, wo es seine Vorräte vergraben hatte.
Sie schaltete wieder auf Hot News Europe. Eine Ärztin klagte über den Mangel an Fachpersonal und rief die Bevölkerung dazu auf, bei den ersten Anzeichen einer Infektion das Haus nicht mehr zu verlassen und den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu rufen. Aufgrund der zahlreichen Fälle müsse jedoch mit Wartezeiten gerechnet werden. Es werde versucht, Roboter für diese Aufgaben umzuprogrammieren. Nur, so berichtete die Blondine mit einem bedauernden Augenaufschlag, sei das nicht unproblematisch, da nicht genügend Roboter zur Verfügung stünden. Zum einen sei es zeitaufwendig, bereichsfremde Maschinen für die neue Aufgabe umzuprogrammieren. Zum anderen hätten einige Fabriken ihre Produktion aufgrund unvorhergesehener Probleme mit der Stromversorgung vorübergehend eingestellt.
Eine Grafik zeigte die Verteilung der Krankheitsfälle in den deutschen Bundesländern und in den Nachbarstaaten. Die Karte sah aus, als hätte ein Kind sie ausgemalt: Fast vollständig rot, mit kleinen Flecken hier und da, die Ränder übermalt. Das Virus hatte sich bereits in ganz Mitteleuropa verbreitet. Auch aus Nordamerika und Asien wurden erste Fälle gemeldet. Der Flugverkehr sei eingestellt worden, teilte die Blondine in betroffenem Tonfall mit. Er hörte sich echt und nicht aufgesetzt an.
Eva schaltete den Fernseher aus und ging zum Fenster. Der Parkplatz sah noch fast genauso aus wie am Morgen. Sie fragte sich, was mit den Besitzern der geparkten Autos passiert war. Ob sie möglicherweise krank in ihren Hotelbetten lagen. Ob sie überhaupt noch lebten. Oder hatten sie die Flucht ergriffen und ihre Fahrzeuge einfach stehen gelassen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemand vorzog, zu Fuß zu
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