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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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umklammerte den Revolver wie einen Schutzschild.
    „Wer hat dich geschickt?“, stieß er hervor. Seine Kopfschmerzen hatten wieder eingesetzt und einen Moment lang hielt er die ganze Szene für eine Halluzination und fragte sich, ob er nach seinem Zusammenbruch wirklich schon aufgewacht war.
    Der Roboter sah sich um. „Wie geht es Nina?“, fragte er.
    „Nina?“, stammelte Tom. „Wieso Nina? Was willst du von ihr?“
    Der Roboter antwortete nicht. Sein Schweigen dauerte mehrere Sekunden, in denen er möglicherweise nach Worten rang. Tom glaubte fast, er hätte eine Funktionsstörung, aber dann fielen ihm die leichten Bewegungen der metallenen Arme auf und des Kopfes, der sich zur Zimmerdecke hob und sich von einer Seite auf die andere legte.
    „Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll“, sagte der Roboter. „Ich muss irgendwo bleiben.“ Er senkte den Kopf und musterte seine breiten, zu großen Füße. Dann sah er auf. „Ich hätte Eisenberg nicht glauben dürfen. Du hättest Eisenberg nicht glauben dürfen.“
    Tom riss die Augen weit auf und hielt die Pistole weiterhin fest umklammert. „Wer bist du? Was hast du mit Eisenberg zu tun?“
    „Hat er dir nichts von mir erzählt?“ Tom schüttelte den Kopf.
    „Ich bin deine Kopie“, fuhr der Roboter fort. „Eisenberg hat dein Gehirn gescannt und die kompletten Daten in diesen Körper hier transferiert. Ich besitze deine kompletten Erinnerungen. Ich denke und fühle wie du.“
    Tom zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. Sein Blick glitt über den aus Edelstahl geformten fremdartigen Körper „Meine Kopie? Schwachsinn!“
    „Es ist wahr. Ich habe in Eisenbergs Büro gesessen und den Computerausdruck gelesen.“
    Der Roboter erzählte, wie er Eisenberg und Nadja in den Keller gefolgt war, wie er sich auf die Liege vor dem Transfergerät gesetzt hatte, den seltsamen Flyer mit den chinesischen Schriftzeichen in der Hand. In diesem Moment erinnerte sich Tom an den Angriff. Er erinnerte sich daran, dass er ohnmächtig geworden war. Dass er sich in der Röhre befunden hatte. Aber was war danach vorgefallen? Der Roboter konnte unmöglich recht haben mit seiner Behauptung. Das war unvorstellbar. Ungeheuerlich.
    „Wer hat dir von mir erzählt?“, fragte er misstrauisch. „Nein, sag es nicht! Ich kann mir schon denken, wer dahinter steckt. Was willst du von mir?“
    Der Roboter lachte bitter. „Ich will überhaupt nichts von dir. Das hier ist auch mein Zuhause.“
    „Beweis es mir!“, sagte Tom mit rauer Stimme.
    „Na schön. Ich weiß alles über dich: Du magst Actionfilme, Bergsteigen und laute Musik. Du hast dein Auto schrottreif gefahren und benutzt deshalb den Firmenwagen, obwohl das gegen die Vorschriften ist. Du trinkst zuviel und wenn Nina nicht wäre, würdest du komplett in die Zentrale umziehen.“
    „Das sind keine Beweise, nur Vermutungen.“
    „Ich kenne deine Sozialversicherungsnummer.“
    „Kunststück. Die ist schließlich nicht geheim.“
    „Das weiß ich auch. Was willst du hören? Etwas über das Versprechen, das du gebrochen hast? Du weißt, was ich meine.“
    Tom starrte ihn an. Der dritte August 2012 lag lange zurück, aber er erinnerte sich so deutlich an diesen Tag, als ließe sich die Zeit dazwischen in wenige Stunden fassen. An das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. Das einzige Versprechen, das er je gebrochen hatte. Damals war er zehn Jahre alt gewesen. Und er hatte versprochen, auf seine sechs Jahre jüngere Schwester aufzupassen.
    Sie hatten am Seeufer gespielt. Toms Mutter war aufgestanden, um schnell zum Parkplatz zu laufen, wo es einen Getränkeautomaten gab. Es würde nur ein paar Minuten dauern, bis sie zurückkam, nicht länger. Aber dann hatte er diesen tollen Geländewagen bemerkt, der ganz in der Nähe einen Hang hinauf kroch. Tom wollte sich das Fahrzeug genauer ansehen, er sprang auf, lief ihm hinterher. Und als er endlich umkehrte, war seine Schwester nicht mehr da. Sie wurde kurz darauf im See gefunden, an einer Stelle, die steil ins Wasser führte. Das Mädchen überlebte den Unfall, aber es war seitdem schwer behindert. Tom hatte nie aufgehört, sich die Schuld daran zu geben.
    „Alles wegen dieses blöden Geländewagens“, sagte der Roboter.
    Tom war blass geworden. „Du weißt davon?“ Er hatte außer seiner Mutter niemandem etwas von dem Fahrzeug erzählt.
    „Ich weiß nicht nur davon. Ich habe es erlebt. Ich habe das Versprechen ebenso gebrochen wie du. Ich bin du.“
    „Dann ist

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