Götterdämmerung (German Edition)
immer noch umkehren. Aber Tom hatte das Gefühl, als würde er etwas finden. Allerdings keinen Schatz.
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Eva bog auf die Hauptstraße ein, ohne auf die Vorfahrt zu achten, aber es waren ohnehin nur wenige Fahrzeuge unterwegs. Am Straßenrand kauerte eine Frau. Sie hatte die Augen halb geschlossen und zitterte. Eva hielt an und wollte nach ihr sehen, aber die Frau war kaum mehr ansprechbar und so stieg sie wieder in den Wagen, setzte einen Notruf ab und fuhr weiter. Im Radio fand sie zwei Sender, die noch funktionierten. Der erste brachte eine Ansprache, die Eva an eine Predigt in Endlosschleife erinnerte. Auf dem zweiten gab es Anweisungen, wie man sich verhalten sollte. „Verlassen Sie Ihre Wohnungen nur, wenn es einen wichtigen Grund gibt!“ Sie nickte. Daniel war ein wichtiger Grund.
„… Das ist der sicherste Weg, sich vor einer Ansteckung zu schützen. Es wird weiter nach einem Gegenmittel gesucht …“
Sie verpasste die nächste Seitenstraße und bog falsch herum in die darauf folgende Einbahnstraße ein. Egal. Hier war niemand, der ihr dafür einen Strafzettel verpassen würde.
Es war nicht mehr weit bis nach Hause. Mit dem Auto vielleicht noch zehn, zwölf Minuten. Eva passierte ein Schmuckgeschäft mit eingeschlagener Scheibe. An dem benachbarten Laden, einem Elektronikgeschäft, machte sich eine Gruppe Jugendlicher zu schaffen. Sie beschleunigte und fuhr vorbei, ohne sich noch einmal umzusehen.
„Plünderer werden von der Polizei erschossen“, meldete der Radiosprecher. Eva schüttelte den Kopf. Abgesehen davon, dass sie solch drastische Maßnahmen nicht für gerechtfertigt hielt, war weit und breit keine Polizeistreife zu sehen. Sie fragte sich, wie viele Leute sich von solchen Informationen abschrecken lassen würden und hoffte, dass es genug waren. Sie schaltete das Radio aus.
Für einen Augenblick achtete sie nicht auf die Strecke.
Der Autopilot gab eine Warnmeldung und bremste. Erschrocken sah Eva auf die Straße und stellte fest, dass jemand auf der Fahrbahn lag und sie direkt auf ihn zu rollte. Hektisch riss sie das Lenkrad herum, merkte, dass der Autopilot gegensteuerte, aber der Wagen war bereits ins Schleudern geraten und raste über den Bordstein auf einen Laternenmast zu.
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Isabelle und Simon hatten soviel zu tun, dass sie sich nur noch ab und zu im Vorbeigehen sahen. Obwohl es nur ein flüchtiger Kontakt war, bauten diese gelegentlichen Begegnungen Simon immer wieder auf. Jedes Mal, wenn er Isabelle traf, hielt er kurz inne und öffnete den Mund. Wie geht es jetzt weiter? , wollte er fragen, aber er blieb stumm. Er hatte Angst vor Isabelles Antwort. War nicht ohnehin jedes Versprechen hinfällig, angesichts der drohenden Katastrophe? Wie viel Zeit würde ihnen der Schutzanzug verschaffen, bis auch sie erkrankten? Ein paar Tage, ein paar Stunden? Und wenn sie überlebten, was dann? Wer würde noch da sein? Wer außer den verhassten Robotern? Er dachte an seine Tochter und verspürte einen Stich in der Magengegend. Sobald er sich hier loseisen konnte, würde er sie anrufen.
An Isabelles unruhigem Blick erkannte Simon, dass auch ihr etliche Fragen durch den Kopf gingen, doch auch sie sprach sie nicht aus. So lächelten sie sich nur kurz an und verschoben alles, was nichts mit der Klinikhölle zu tun hatte, auf später.
Seit Stunden arbeitete Simon nun schon ohne Pause. Er schwitzte. Der Schutzanzug schien auf seiner Haut zu kleben und schränkte seine Bewegungsfreiheit ein. Zwar gab es ein eingebautes Belüftungssystem, doch nach so vielen Stunden sehnte er sich danach, den Anzug endlich ausziehen zu dürfen. Er richtete sich auf, um das Regelventil neu einzustellen und den Luftstrom zu vergrößern, als der Anruf kam.
Oliver war offensichtlich aufgewacht.
„Was willst du?“, fragte Simon erschöpft. Im Moment war ihm vollkommen gleichgültig, ob der Boss in der Klinik aufkreuzte. Sollte er doch kommen.
„Danke für den Knock-out“, sagte Oliver kalt.
„Gern geschehen.“
„Ich habe hier etwas, das dir gehört.“
„Ach ja? Was denn? Meine Wohnung?“
„Setz dich in Bewegung und komm her, wenn du es haben willst!“
„Keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Oliver lachte grimmig. „Kann ich mir vorstellen.“ Laut rief er: „Komm und sag Daddy hallo, Schätzchen!“
Simon fuhr zusammen. Am anderen Ende der Leitung hörte er die Stimme seiner Tochter. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. „Wie lange musst du noch arbeiten, Papa?“,
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