Götterdämmerung (German Edition)
nach ihnen suchen?
Nicht mehr lange und hier ist alles dicht , dachte sie. Gut, dass sie noch rechtzeitig gekommen war. Aber wohin jetzt?
Zu Eisenberg. Der führte die Geschäfte, wie sie wusste. Aber wo konnte sie ihn finden? Sie würde einfach die Wachleute mit den grimmigen Gesichtern fragen und wenn sie das nicht weiterbrachte, das ganze Gebäude Zimmer für Zimmer, Etage für Etage absuchen, bis sie eine Spur von diesem Eisenberg oder sonst irgendjemandem fand, der etwas zu sagen hatte.
Sie lief zurück zum Ausgang, von wo aus die Wachleute ihr bereits entgegen gelaufen kamen.
„Wo finde ich Doktor Eisenberg?“, herrschte Eva sie an, bevor sie etwas sagen konnten. „Ich habe einen Termin.“ Sie sah demonstrativ auf ihren Chronometer. „Er erwartet mich.“ Sie kniff den Mund zusammen, sodass ihr Gesicht einen strengen Ausdruck annahm und hoffte, dass sie mit ihrer Lüge durchkam.
Die Wachleute warfen sich einen Blick zu. „Doktor Eisenberg ist heute für niemanden mehr zu sprechen“, sagte der erste Wachmann.
„Oh doch, für mich schon. Ich bin mit ihm verabredet“, beharrte Eva. Bitte, sie konnte auch stur sein. So einfach würde sie sich nicht abwimmeln lassen. Nicht heute.
„Wie ist Ihr Name?“, fragte der zweite Wachmann. Er erwiderte Evas Blick unbeeindruckt. In der Hand hielt er ein kleines Gerät mit Bildschirm. Möglicherweise hatte er damit Zugang zum Zentralrechner.
„Eva Drechsler.“
Der Wachmann ließ den Bildschirm sinken und starrte sie an.
„Wollen sie mich nicht überprüfen?“, fragte Eva verwirrt. Ihr Gesicht hatte jede Strenge verloren und wirkte jetzt so, wie sie sich fühlte: irritiert und verletzbar.
„Ich kenne Sie“, sagte der Wachmann. „Wir sind uns mal begegnet. Früher. Ich erinnere mich an Sie. Ich habe Sie nur nicht gleich erkannt.“
„Ach ja? Lassen Sie mich dann durch?“ Sie interessierte sich nicht im Geringsten dafür, wem sie wann einmal begegnet sein mochte, sie wollte nur weiter. „Ich habe nur ein paar Fragen an Doktor Eisenberg. Es dauert nicht lange.“
„Ich bringe Sie zu ihm“, sagte der Wachmann und bedeutete dem anderen mit einem Handzeichen, Eisenberg über ihr Kommen zu informieren.
•
Unruhig lief Simon in seiner Wohnung hin und her, wie ein Häftling, der seine Gefängniszelle abschreitet. Etwas in ihm drängte ihn, seine Wohnung aufzuräumen. Immer wieder bückte er sich nach Dingen, um sie zurück an ihren Platz zu stellen, aber dann ließ er es bleiben. Die Wohnung widerte ihn an. Wenn es für ihn ein Leben nach dem Zusammentreffen mit Oliver gab, dann bestimmt nicht hier. Hierher würde er nicht zurückkehren. Nicht einmal, wenn die Sache glimpflich ausging, was er nicht erwarten konnte.
Vincent fiel ihm ein. Er würde ihn in ein Krankenhaus bringen. Anonym. Allerdings noch nicht jetzt. Er wollte Oliver nicht unnötig provozieren.
Simon ging ins Schlafzimmer. Vincent lag reglos auf der Seite, die Augen weit geöffnet. Simon suchte die Halsschlagader, er wollte den Puls zu messen. Die Haut, die er berührte, war kalt, der Puls nicht mehr vorhanden. Er fasste Vincents Arm und ließ ihn fallen. Vincent war tot.
Bestürzt trat Simon einen Schritt vom Bett zurück. Jetzt erst fiel sein Blick auf seinen Nachttisch und die Packung Opttrical darauf. Er griff nach der Packung und hielt seine Hand unter die Öffnung. Sie war leer.
„Das kann doch wohl nicht wahr sein“, murmelte er. „Wie kann man so was hier liegen lassen?“
Er lief aus dem Schlafzimmer, schloss die Tür und lehnte sich an die Wand. Nun also auch Vincent. Wer war der Nächste? Er selbst? Wie lange würde er hier warten müssen, bis er endlich ein Lebenszeichen von Yasmin erhielt? Bis der „Boss“ es für nötig hielt, sich bei ihm zu melden? Er versuchte sich zu konzentrieren, überlegte, welche Möglichkeiten ihm blieben. Sollte er wirklich untätig in der Wohnung bleiben? Aber wo könnte er mit der Suche nach seiner Tochter beginnen?
Erschöpft lehnte er sich an die Wand, rutschte langsam zu Boden und blieb dann mit geschlossenen Augen sitzen, den Kopf auf seinen Knien.
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Der Wachmann begleitete sie nach unten. Die Tür zu den Forschungslaboren stand bereits offen, als Eva dort ankam. Hinter der Türschwelle stand eine zierliche Frau, die nicht älter als Mitte Dreißig sein konnte. Die dunklen Augenringe und eingefallenen Wangen vermittelten jedoch den Eindruck, als wäre sie vorzeitig gealtert. Sie wirkte schwach und
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