Götterdämmerung (German Edition)
ein unheimliches gleichmäßiges Donnern.
„Das tue ich auch. Versuchen Sie in der Zwischenzeit einfach mal, ihre Ungeduld in den Griff zu bekommen!“, sagte Nadja ärgerlich. Sie öffnete eine Klappe im Nacken der Maschine und begann, mehrstellige Zahlen- und Buchstabenkombinationen einzugeben.
„Dieser Roboter steht seit zwölf Jahren hier im Schrank. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu reaktivieren“, meinte sie nach einer Weile.
„Wozu? Was hat dieses Ding mit Kai zu tun?“ Eva stellte die Frage mit soviel Gleichmut, wie sie aufbringen konnte, aber tief in ihrem Inneren ahnte sie bereits die Antwort.
„Darin ist alles gespeichert, was Ihren Mann ausgemacht hat“, erwiderte Nadja. „Wenn es eine Seele gibt, dann ist sie da drin.“
Sie hielt den Kopf nach vorn gerichtet, sah nur auf das Kabelgewirr rings um die Neuroprozessoren und dachte daran, dass sie eigentlich Werkzeug gebraucht hätte. In ihrem Rücken spürte sie Evas stechenden Blick.
Das Donnern vom Flur wurde so laut, dass der Stahlschrank zu vibrieren begann.
„Schließen Sie die Tür!“, befahl Nadja mit rauer Stimme. „Schnell!“
•
Franco versuchte nun zum dritten Mal Oliver zu erreichen. Vergebens. Der Boss hatte längst zurück sein wollen, um ihm das Mädchen abzunehmen. Aber von Oliver fehlte jede Spur.
Vielleicht hat es mit diesem Stromausfall zu tun , dachte Franco. Aber eigentlich ist das nicht mein Problem. Mein Auftrag ist zu Ende.
Er war nicht bereit, noch länger Babysitter zu spielen. Wenn jemand das Mädchen zufällig bei ihm entdeckte, bekam er arge Schwierigkeiten. „Schwierigkeiten“ war schon gar kein Ausdruck mehr.
Aber wohin mit dem Mädchen? Er konnte es Oliver schließlich nicht vorbeibringen, er wusste ja nicht mal, wo der Boss überhaupt steckte. Das sah ihm mal wieder ähnlich. Anderen die unangenehmen Aufgaben aufhalsen und sich dann nicht um seine Versprechen kümmern! Dabei war das eine Sache gewesen, die er von seinen Anhängern kategorisch eingefordert hatte. Franco kratzte sich die Stirn. Am besten brachte er das Mädchen zu Simon. Oliver hatte ihm zwar eingeschärft, Simon auf keinen Fall zu kontaktieren, aber einen anderen Weg sah Franco nicht.
Er beobachtete Yasmin, die still und verängstigt auf ihrem Stuhl hockte und mit einem schwarzen Stift das Stück Papier zerfetzte, das er ihr gegeben hatte. Bestimmt war es nur eine Frage der Zeit, bis sie versuchen würde, wegzulaufen. Das würde er jedenfalls an ihrer Stelle tun. Das Mädchen konnte auf keinen Fall länger in seiner Wohnung bleiben.
Franco wusste leider nicht, wo Simon sich aufhielt. Er wusste auch nicht, wo er wohnte, kannte nur die ungefähre Gegend, aber er wusste, dass er in der Klinik arbeitete. Und angesichts dieser neuen Krankheit war es sowieso am wahrscheinlichsten, dass er ihn dort antraf.
„Ich bringe dich jetzt zu deinem Papa“, sagte er. Yasmin ließ sofort ihren Stift fallen, zog sich Schuhe und Jacke an und folgte ihm nach unten zu seinem Wagen.
Bevor er losfuhr, versuchte Franco ein letztes Mal, Oliver zu erreichen. Der Boss nahm den Anruf nicht entgegen.
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Die Türen des Stahlschrankes schlugen rasselnd gegen Scharniere und Wände. Nadja drehte sich zu Eva um und legte den Finger quer über ihre Lippen. Eine überflüssige Geste, denn Eva stand wie angewurzelt und wagte kaum zu atmen. Die Schritte der Maschinen, die draußen auf dem Flur an dem kleinen Raum vorbeiliefen, hörten sich an wie Schüsse. Wumm. Wumm. Wumm. Im Sekundentakt abgefeuert. Eine Kaskade gleichmäßiger sich überlagernder Töne: leise, laut, verzerrt, deutlich. Schritte, die sich bereits ein gutes Stück entfernt hatten. Schritte, die so nah waren, dass Eva die Vibrationen des Bodens spüren konnte. Die meisten Maschinen befanden sich wenige Zentimeter neben ihnen, getrennt nur durch eine dünne Wand.
Der Roboter im Schrank wurde gerade gebootet und sendete nun leise Signale. Bei jedem Signalton zuckte Eva zusammen. Sie hatte die irrationale Furcht, dass eine der Kreaturen vom Gang plötzlich neben ihr im Raum stehen könnte. Nadja hatte sich bereits wieder dem Roboter zugewandt, ohne jedoch die Tür ganz aus den Augen zu lassen. Die Geräusche auf dem Flur wurden allmählich leiser und verschwanden schließlich ganz. Eva bemerkte erst jetzt, dass sich ihre Fingernägel tief in die Haut gegraben hatten.
„Sind sie weg?“, flüsterte sie.
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Nadja.
„Vielleicht kommen noch
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