Götterdämmerung (German Edition)
Hass, Angst und Wut loderten. Er griff nach den fremden Händen, um sie zu lösen, die Finger einzeln aufzubrechen. Der Fremde ließ ihn tatsächlich mit einer Hand los, jedoch nur, um sie in Bens Wange zu krallen. Die andere Hand zerrte weiter an seinen Haaren.
„Hören Sie auf damit!“, rief Tom und griff nach den Armen des Mannes. Dann holte er aus und schlug dem Fremden mit der Faust ins Gesicht.
Ben wurde losgelassen. Eilig rutschte er in seinem Sitz nach vorn, möglichst weit weg von dem Mann. Seine Wange brannte noch von den Fingernägeln des Mannes. Er drehte sich um. Der Fremde saß vornübergebeugt und rieb sich den Kiefer.
„Dafür werden Sie bezahlen!“, sagte die Qualle mit bebender Stimme zu Tom. „Wenn der da“ – er machte eine abfällige Armbewegung zu Ben – „Sie nicht fertigmacht, dann erledige ich das, das schwöre ich Ihnen.“
Tom zuckte mit den Schultern.
Ben betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Er hatte einen Kratzer auf der rechten Wange und seine Haare sahen zerzaust aus, ansonsten schien alles in Ordnung zu sein.
„Ich will, dass der Verrückte aussteigt!“, forderte er zornig.
Tom sah ihn verständnisvoll an, stimmte jedoch nicht zu. „Das geht nicht.“
„Sie haben doch gesehen, was er mit mir angestellt hat. Er soll verschwinden!“, wiederholte Ben seine Forderung.
„Ich kann ihn nicht aussteigen lassen. Da draußen wimmelt es von Robotern. Zu Fuß und ohne Waffe hat er keine Chance.“
„Das ist nicht mein Problem. Er hätte mich nicht überfallen sollen.“
„Ich bleibe!“, knurrte der Fremde. „So einfach lass ich mich nicht abwimmeln.“
„Schön. Dann hätten wir das geklärt.“
„Nein. Das haben wir nicht geklärt. Das ist mein Auto“, widersprach Ben.
„Ist es nicht. Wahrscheinlich gehört der Wagen ihm“, sagte Tom und zeigte auf Max. „Und wie du an das Fahrzeug gekommen bist, weiß ich genauso wenig, wie ich den Geschichten unseres speziellen Freundes hier glaube.“ Er musterte den Fremden, der die Hände von seinem Kopf genommen und die massigen Arme auf seine Knie gestützt hatte und wandte sich dann wieder Ben zu. „Ich weiß, dass dir das stinkt, aber genauso läuft es. Du fährst mich aus der Stadt. Dafür passe ich auf, dass der Typ dir nicht wieder zu nahe kommt. Und ich habe ein EMP dabei, falls die Roboter da draußen uns angreifen. Wenn wir weit genug von hier weg sind, verschwinde ich mit ihm. Okay?“
Ben sah ihn zweifelnd an. „Sie nehmen ihn mit zum Militär?“
„Keine Ahnung. Vielleicht warte ich nur, bis du mit dem Wagen fort bist und lasse ihn dann gehen. Erstmal müssen wir hier weg und diese Drohne loswerden.“
Ben nickte. Was das betraf, hatte Tom Recht. Die Drohne war mehr als ein lästiges Anhängsel. Niemand wusste, ob sie Verstärkung rufen würde und durch die Beleuchtung machte sie auf das Fahrzeug aufmerksam.
Sie passierten ein Solarkraftwerk. Es war fünfzehn Jahre alt und eigentlich überflüssig, seit es die Kernfusionskraftwerke gab, aber da es nun einmal stand, sollte es auch genutzt werden. Die graublau schimmernden Heliostate waren auf die Spitze eines über dreihundert Meter hohen Turms in ihrer Mitte ausgerichtet. Wenn man das Kraftwerk passierte, konnte man leise das dumpfe Dröhnen der Dampfturbinen hören.
„Ich bin gespannt, ob es noch läuft“, bemerkte Tom mit Blick auf das Kraftwerk.
Ben ließ die Fensterscheibe herunter und horchte. Abgesehen von dem gleichmäßigen Rauschen der Reifen auf nassem Asphalt war es still ringsum.
„Abgestellt“, stellte Tom fest. „Hier funktioniert wirklich nichts mehr.“
„Mach das Fenster wieder zu!“, brummte der Fremde. „Mir ist kalt.“
„Oh, verflucht!“, sagte Tom. Ben blickte ihn fragend an. Tom machte eine Handbewegung nach draußen.
Sie passierten die mit zahlreichen Schildern versehene Abzweigung zum Eingangsbereich des Kraftwerks. Am Straßenrand stand vergessen ein Turmdrehkran auf einem gewaltigen Räderfahrwerk. Ben zuckte mit den Schultern. Ihm fiel auf, dass die Drohne zurückgeblieben war und ihrem Fahrzeug nun in einiger Entfernung folgte, so als wollte sie Distanz zwischen sich und das Auto bringen. Ihr Lichtstrahl blinkte hektisch in unregelmäßigen Abständen.
„Das Ding bewegt sich“, raunte Tom. „Fahr schneller!“
„Ich glaube nicht, dass sich die Drohne so einfach abhängen lässt“, meinte die Qualle, aber Tom winkte ab. „Ich meine nicht die Drohne – ich meine den Kran.“
Ben beugte sich über
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