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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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Schoß vor dem großen Aquarium in der Küche und beobachtete die Fische, die träge zwischen grünen und gelben Wasserpflanzen umherschwammen. Die gelben waren eine neue Züchtung, sie reinigten das Wasser und speicherten den Schmutz, sodass man keinen Filter mehr benötigte. Das sah schöner aus, machte allerdings nicht weniger Arbeit, denn die Pflanzen mussten regelmäßig ersetzt werden. Maria gefielen die grünen sowieso besser. Die sahen nicht so krank aus. Leo schien sich allerdings nur für die Fische zu interessieren. Sie strich ihm über den Kopf und hob drohend den Zeigefinger.
    Ob Omi bald aufstand? Es war doch Zeit für ihre Medizin. Sie sollte sie wohl besser aufwecken. Omi hatte gestern Abend so komisches Zeug geredet.
    Mit einem Ruck löste Maria sich von dem Aquarium. Sie setzte Leo auf den Fußboden und stand auf. Anschließend schmierte sie einen Toast mit Butter und Marmelade und kochte Kaffee. Dann stellte sie Teller und Tasse auf ein Tablett, legte eine dunkelgrüne Serviette – ihre Lieblingsfarbe – daneben und ging ins Schlafzimmer.
    Omi schlief immer noch. Dabei war es bald acht Uhr. Maria stellte das Tablett auf den kleinen Nachtschrank und rüttelte sanft die Schultern der alten Frau. Die Alte seufzte und drehte sich zu Maria um.
    „Ach mein Schatz“, sagte sie. „Ich fühle mich so schrecklich müde heute.“
    Sie strich dem Mädchen über das lange Haar und seufzte wieder. Maria half ihr, sich aufzusetzen und stellte das Tablett danach auf die Bettdecke.
    Die Alte begann ohne ein Wort zu essen. Ihre Augen glitten die Wand entlang, durchstreiften das ganze Zimmer, bis sie wieder auf das Mädchen trafen.
    „Ich habe noch so viel zu tun“, murmelte sie plötzlich und reichte Maria das halb leere Tablett. „Muss meine Medizin nehmen.“
    Langsam streckte sie die Beine aus dem Bett und stand mühsam auf.
    „Soll ich dir helfen Omi?“, fragte das Mädchen. Die alte Frau winkte ab. „Ist schon gut. Lass mich einen Moment allein! Ich muss nachdenken.“
    Maria nickte und lief zurück in die Küche, wo sie das Tablett abräumte. Durch die halb geöffnete Tür hörte sie, dass Omi von Zimmer zu Zimmer ging, bis sie in die Küche kam.
    „Wir müssen die Fenster verdunkeln“, murmelte die Alte. „Dürfen keins vergessen.“ Sie öffnete die Korridortür, horchte ins Treppenhaus und entfernte das Namensschild an der Klingel.
    „Was machst du denn?“, fragte Maria erstaunt. „Soll ich dir beim Anziehen helfen?“
    „Wir müssen vorsichtig sein“, brummte die Alte. „Damit sie uns nicht finden.“
    Sie schlurfte ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Ihre Lieblingsserie lief, sie handelte von einem Waisenhaus in Afrika. Maria fand sie nicht besonders interessant, aber die Serie gehörte zu Omi wie die abgenutzte Anbauwand im Wohnzimmer oder das schwere Holzbett mit den Schnitzereien am Kopfende. Mittlerweile kannte sie fast jedes Wort auswendig, so oft hatte Omi sie schon gesehen. Maria fiel jedoch auf, dass Omi sich heute nicht vor den Bildschirm in ihren Schaukelstuhl setzte, sondern unruhig in der Wohnung auf und ab lief, Ordner durchwühlte. Papiere schredderte. Sie lief ihr hinterher.
    „Wozu tust du das?“, fragte sie verwirrt. Die Alte hielt inne, legte den Ordner, den sie gerade aufgeschlagen hatte, auf den Fußboden und winkte Maria zu sich.
    „Wenn du allein bist, wirst du eine Weile durcheinander sein“, sagte sie ernst. „Aber das gibt sich. Ich bin bald zurück.“
    Maria sah sie verständnislos an. „Was heißt das, du bist bald zurück? Wo gehst du denn hin?“
    „Du wirst es verstehen, wenn es soweit ist. Aber du darfst auf keinen Fall das Haus verlassen und niemandem öffnen.“ Sie nahm beide Arme des Mädchens in ihre runzligen Hände und drückte sie fest. „Versprich mir das!“
    „Das habe ich dir doch gestern schon versprochen.“
    „Ach ja“, murmelte die Alte. „Ich wollte nur sicher sein, dass ich es nicht vergesse. Hab keine Angst! Es ist alles in Ordnung. Aber wenn jemand kommt–“ Ihr Blick glitt zur Tür. „Wenn jemand kommt, musst du dich verstecken, egal, wer es ist. Er darf dich nicht finden. Hast du das verstanden?“
    Das Mädchen nickte. Es schloss aus dem wirren Gerede der Alten jedoch nur, dass jetzt zusätzlich zu ihrem Körper auch der Kopf anfing, Schwierigkeiten zu bereiten. Immerhin war Omi sechsundachtzig. Aber kein Grund zur Sorge. Sie war ja da. Sie würde auf sie aufpassen.
     
    •
     
    Die zweite Person neben

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