Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
Vom Netzwerk:
hatte die Arbeit sie nicht losgelassen und Nadja Stunde um Stunde drangehängt. Immer wenn sie aufstehen wollte, um ihren Mantel zu holen, begannen ihre Finger zu kribbeln, ihr Blick fiel zurück auf den Computer und sie dachte an das unfertige Konzept, an ihre noch fehlerhafte Programmierung und die vielen anderen ungelösten Probleme. Sie konnte einfach nicht abschalten. Aber nun war sie so müde, dass sie die Umgebung nur noch wie durch einen Schleier wahrnahm.
    Krampfhaft überlegte sie, wohin sie ihre Handtasche gestellt hatte.
    Ich muss dringend schlafen , sagte sie sich. Wenigstens ein paar Stunden.
    Sie lächelte bitter. Ein paar Stunden waren eine Illusion. Seitdem sie bei den Experimenten assistiert hatte, litt sie an Schlafstörungen. Sobald sie die Augen schloss, sah sie unnatürlich verzerrte Gesichter vor sich, die sie stumm anklagten. Es waren die Gesichter der Toten, die sie auf dem Gewissen hatte. Dass sie dafür nicht allein verantwortlich war, minderte ihre Schuldgefühle nicht im Geringsten, schließlich hatte sie bereitwillig mitgemacht. Sie hatte auf einen Karrieresprung gehofft und ihn bekommen, doch nun zahlte sie den Preis dafür: Das doppelte Gehalt gegen Schuldgefühle, die sie innerlich auffraßen. Denen sie ihr Privatleben opferte. Sie hatte ihren Lebensgefährten vergrault, ihre Freunde verloren und den Kontakt zu ihrer Familie weitestgehend abgebrochen. Sie ertrug es einfach nicht, ihnen das Bild der netten, erfolgreichen Frau vorzuspielen. Es machte sie verrückt. Am liebsten hätte sie ihnen die ganze furchtbare Wahrheit auf den Tisch geknallt: dass sie für ihren sogenannten Erfolg zur Mörderin geworden war – oder wenigstens zur Helferin eines Mörders! Dass sie Menschen betrogen hatte! Dass sie ihnen mit dem Versprechen eines langen Lebens ihr restliches kurzes genommen hatte. Und dass sie einsam war seitdem. Aber sie schwieg. Was sollte es auch bringen, davon anzufangen? Niemandem würde es helfen, nicht einmal ihr selbst. Also stürzte sie sich in ihre Arbeit, das lenkte sie zumindest vorübergehend ab.
    Die Experimente waren missglückt. Alle – bis auf dieses eine vor 12 Jahren, das aus FUOP-TECH eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt gemacht hatte. Und eines der mächtigsten.
    Aber sie bekamen nichts geschenkt. Die Gegenschläge kamen von allen Seiten: Die Konkurrenz holte auf. Die Regierung begann, den Einfluss der Unternehmen einzuschränken und veränderte die Rahmenbedingungen für die Roboterproduktion. Und nicht zu vergessen die immer häufiger vorkommenden Anschläge, die alle gefährdeten: Unternehmer und Unternehmen, Politiker und Wissenschaftler. Sie selbst eingeschlossen. Nadja fragte sich, ob sie sich je wieder sicher fühlen würde. Die Frage, ob sie sich je wieder glücklich fühlen würde, stellte sie sich nicht.
    Mit einem gequälten Lächeln verließ sie ihr Büro und holte den Fahrstuhl. In der Kabine starrte sie blass und mit geröteten Augen durch den Spiegel direkt in die dahinter versteckte Kamera. Nadja wusste, dass das komplette Firmengebäude überwacht wurde, jeder noch so kleine Winkel, sogar ihr Büro und die Waschräume. Ihr Chef war besessen davon. An manchen Tagen regte Nadja sich darüber auf, aber eigentlich war sie ganz froh über das Sicherheitsgefühl, das die Kameras ihr verliehen – besonders nach den zahlreichen Drohungen, die das Unternehmen in den letzten Monaten bekam.
    Der Aufzug hielt. Ringsum war es bedrückend still. Nadja griff in ihre Manteltasche. Ihre Hand schloss sich um die kleine Betäubungspistole, die sie immer bei sich trug: ihr Talisman. Dann verließ sie den Fahrstuhl und rief ihren Wagen.
    Das Automobil fuhr automatisch zu dem Standort, an den es gerufen worden war. Sobald Nadja sich auf die helle Ledercouch in der Fahrerkabine fallen gelassen hatte, verriegelte sie die Türen und nannte dem Autopiloten ihr Ziel: Nach Hause. In ihr leeres Appartement.
     
    •
     
    Vera zog sich schnell die erstbeste Hose und eine alte Bluse über. Dann griff sie ihre Handtasche und zerrte die Strickjacke vom Kleiderbügel im Flurschrank. Hendrik wartete bereits an der Haustür auf sie.
    „Steht der Wagen bereit?“, fragte Vera.
    „Vor der Einfahrt.“
    „Gut, dann los!“ Sie holte tief Luft und hoffte, dass sie falsch lag mit ihrer düsteren Vorahnung. Der Wind peitschte kalte Regentropfen in ihr Gesicht. Vera begann zu frieren. Vielleicht sollte sie sich eine andere Jacke holen? Nein. Die meiste Zeit würde sie

Weitere Kostenlose Bücher