Götterdämmerung (German Edition)
sowieso im Auto sitzen und sie wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Einen Moment lang musterte sie den Garten, der ihr ungewöhnlich dunkel erschien. Ben könnte jeden Augenblick eintreffen. Vielleicht würden sie ihn verpassen, wenn sie jetzt losfuhren. Egal. Wenn dem so wäre, müsste der Junge eben im Haus auf ihre Rückkehr warten.
Hastig ging sie die Treppen zur Einfahrt hinunter, wo schon der hellblaue BMW auf sie wartete, ein mobiles Fünf-Sterne-Zimmer mit Minibar, Unterhaltungskomplex und sechs Ledersesseln. Sobald sie nahe genug an den Wagen herangekommen waren, öffneten sich die Türen des Wagens automatisch nach oben. Vera setzte sich auf den hinteren Sessel, Hendrik gegenüber, der bereits eingestiegen war.
„Fährst du heute nicht selbst?“, fragte sie. Hendrik schüttelte den Kopf und zeigte auf die Flasche Bourbon im Seitenfach. „Ich glaube, dass kein Grund zur Sorge besteht“, murmelte er. „Aber ich könnte trotzdem einen guten Schluck vertragen.“
Vera schwieg. Sie überlegte, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollten und wer ihnen helfen könnte, wenn sie Ben nicht fanden.
„Warum musstest du die Unterlagen auch unbedingt im Büro aufbewahren?“ fragte sie anklagend. „Gab es keinen anderen Ort?“ Hendrik holte zischend Luft. „Du selbst hast gesagt, dass ich sie nicht in Bens Nähe liegen lassen soll. Jetzt halt mir das nicht vor!“
„Du hättest sie wenigstens in einen Tresor legen sollen!“
„Ein Tresor ist das erste, was aufgebrochen wird.“
Vera seufzte. „Es wäre einfach beruhigender, wenn ich wüsste, dass die Unterlagen nicht in falsche Hände geraten sind.“
„Ben geht es gut, du wirst sehen. Jetzt lass uns losfahren! Wo wollen wir anfangen?“
„Am Supermarkt“, erwiderte Vera. Sie sah aus dem Seitenfenster. Gerade als Hendrik dem Autopiloten die Adresse nennen wollte, bemerkte sie eine schmale Gestalt, die zügig auf ihr Auto zukam. War das –?
„Hendrik!“, rief sie aufgeregt und zeigte hinaus auf die Straße.
Hendrik sprang aus dem Auto. „Ben!“, brüllte er. Seine Stimme klang halb erleichtert und halb zornig. „Mensch, wo kommst du denn jetzt her? Was –“
Ein merkwürdiges, leises Knacken drang in das Innere des Wagens. Vera fiel es kaum auf. Sie sah nur, dass Hendrik zusammen sackte. Seine Hand suchte im Türrahmen Halt und wurde von der Masse seines Körpers mit zu Boden gerissen.
„Hendrik, was ist denn?“, rief Vera erschrocken und beugte sich aus der Türöffnung. Wieder hörte sie das Knacken, etwas deutlicher nun. Die Windschutzscheibe zersplitterte. Instinktiv duckte sie sich. Die Gestalt, die Hendrik für Ben gehalten hatte, war nur noch wenige Meter entfernt. Vera bemerkte, dass der Mann eine Pistole in der Hand hielt und erst jetzt begriff sie, dass es sich bei dem seltsamen Knacken um Schüsse mit Schalldämpfer gehandelt hatte.
„Hör auf!“, hörte sie jemanden rufen. „Wir brauchen sie noch!“ Die Stimme klang kühl und bestimmt.
Vera wich zurück in den Wagen und rutschte zwischen die Sitze des Fahrzeugs. Sie wollte die Polizei rufen, aber noch bevor sie den Notrufknopf betätigen konnte, wurde die andere Autotür aufgerissen. Jemand packte sie am Arm und zerrte sie aus dem BMW. Vera konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, ihr fiel nur der lange Ledermantel auf, den er trug.
„Lassen Sie uns in Ruhe, bitte!“, flehte sie. „Wir sind nicht reich, aber Sie können alles haben, was Sie möchten.“
„Gut“, erwiderte der Mann und drehte ihr sein Gesicht zu. Es wirkte so kalt und unbeteiligt, als wäre der Überfall reine Routinesache.
„Mach die Haustür auf!“, befahl er. „Und schalte die Alarmanlage aus!“
Vera gehorchte. Bevor der Mann das Haus betrat, drehte er sich auf dem Treppenabsatz um. Von der Einfahrt näherten sich zwei weitere Männer.
„Bringt den Alten weg!“, befahl er. „Der kann hier nicht liegen bleiben.“
„Okay, Vince.“ Einer der Männer gab ein Handzeichen.
„Ich rufe Verstärkung, sobald ich drin bin. Ihr bleibt hier und passt auf, ob er kommt!“
„Alles klar.“
„So und jetzt rein mit dir!“, murmelte der Mann, der Vince gerufen wurde und stieß Vera in den Flur.
•
Sechs Minuten nachdem ihn der Anruf erreicht hatte, stürmte Tom Lange aus dem ersten der beiden silbergrauen Vans mit der Aufschrift „NT-Security“ und trieb seine Leute zur Eile an. Jeder von ihnen trug eine schwarze Uniform mit blauem Schriftzug auf der Brust und war mit Helm,
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