Götterdämmerung (German Edition)
Behandlungsmöglichkeiten. Keine Hochleistungsmedizin, keine medizinischen Überwachungsgeräte, nur die hilflosen Gesichter der Angestellten und das Summen der sich durch die engen Lücken bewegenden Maschinen.
Simon wunderte sich, dass sein Diensteinteiler ihn noch nicht zu Hause angerufen hatte. Möglicherweise hatte er es in dem Chaos einfach vergessen.
Möglicherweise hat Oliver alle Anrufe blockiert.
Am anderen Ende der Halle entdeckte er eine Krankenschwester, die ihn zu sich winkte. Er bahnte sich einen Weg an den apathisch daliegenden Menschen vorbei auf sie zu.
„Was ist denn hier los?“, fragte Simon bestürzt, als er sie eingeholt hatte.
Die Schwester warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Haben Sie keine Nachrichten gehört?“, fragte sie konsterniert. Simon zuckte die Achseln. Wie sollte ich?
Ein Arzt kam auf sie zu. „Wir brauchen A positiv“, sagte er. „Ist das alles, was noch da ist?“ Er sah zur Blutbank hinüber, deren Tür offen stand.
„Mehr haben wir nicht“, meinte die Schwester. „Wir haben schon das rote Kreuz verständigt. Was ist mit dem Kunstblut?“
„Keine Besserung.“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Die Blutkörperchen zersetzen sich fast schneller, als wir nachfüllen können. Sehen Sie sich das an!“ Er wies auf den überfüllten Empfangsraum. „Das einzige, was wir tun können, ist ein vollständiger Blutaustausch und selbst danach hält die Wirkung nur einige Stunden an. Wie sollen wir bei so vielen Leuten einen Blutaustausch vornehmen?“
Die Krankenschwester sah ihn ratlos an. „Ich habe eine Frau ohne Symptome“, meinte sie.
„Was ist mit ihr?“
„Kreislaufversagen.“
„Das gehört auch zu den Symptomen. Wir müssen warten, bis die Geräte für den Schnelltest ausgeliefert sind. Halten Sie eine Station zur Isolierung frei!“ Der Arzt entfernte sich eilig.
„Hast du Isabelle gesehen?“, fragte Simon.
„Ich glaube, sie ist oben.“
Simon nickte und machte sich auf den Weg nach oben. Es würde eine lange Schicht werden. In den oberen Stockwerken sah es nicht besser aus. Simon durchquerte die elektrischen Schwingtüren, die in seine Abteilung führten und registrierte, dass auch hier kaum Platz zum Durchkommen war. Er fand Isabelle im Kontrollraum, wo sie damit beschäftigt war, einige Geräte einzustellen.
„Wenn das so weitergeht, arbeiten hier bald bloß noch Roboter“, sagte Isabelle und umarmte ihn kurz. Wie alle Angestellten trug auch sie einen Schutzanzug. „Die meisten Kollegen haben sich schon krank gemeldet. Wie geht es dir?“
„Ganz gut“, murmelte Simon. „Was ist das für eine Krankheit?“
Isabelle reichte ihm ein Blatt. „Lies das! Es steht nicht viel drauf, aber mehr können wir nicht tun. Hoffentlich entwickeln die bald ein Gegenmittel.“
Simon nahm das Blatt. „Richtlinien zum Umgang mit HMO A16“ stand fettgedruckt in der Titelzeile. Darunter: „HMO A16 ist eine Viruserkrankung. Eine Infektion hat den extrem beschleunigten Abbau der roten Blutkörperchen zur Folge. Meiden Sie jeden Kontakt zu infizierten Personen. Achten Sie unter anderem auf folgende Symptome: starke Müdigkeit, Leistungsabfall, Übelkeit, niedriger Blutdruck, Schwindelgefühl, Fieber, Schmerzen, Kreislaufversagen.“
Er überflog das Blatt und legte es dann zur Seite. „Wo kommt das denn auf einmal her?“, fragte er unsicher.
„Vielleicht ein Anschlag. Aber so genau weiß das keiner. Oder keiner gibt es zu.“
Simon schwieg und fasste ihre Hand, fuhr zärtlich über den Kunststoff ihrer Schutzhandschuhe. Er wollte etwas sagen, etwas, was sie beide beruhigen konnte, aber ihm fiel nichts ein.
„Machen wir uns an die Arbeit“, meinte er schließlich. Isabelle nickte.
•
Tom hatte wieder Kopfschmerzen, als er endlich zu Hause ankam. Die Kapsel, die Nadja Bergmann ihm gegeben hatte, hatte nur vorübergehend gewirkt. Er parkte den Van, nahm seine Dienstwaffe aus dem Fach im Boden und stieg aus. Dabei fiel ihm ein, dass er den Wagen ebenso wie den EMP-Werfer längst hätte abgeben müssen. Er würde eine Abmahnung bekommen. Doch momentan war eine Abmahnung das Letzte, was ihn interessierte.
Verstört schaute er zu den Fenstern seiner Wohnung im dreißigsten Stock hinauf. Das Schlafzimmerfenster konnte er von hier aus nicht sehen, die anderen waren dunkel.
In seiner Etage angekommen, schloss er leise die Wohnungstür auf und tappte auf Socken ins Wohnzimmer, wo er sich in den breiten durchgesessenen Sessel fallen
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