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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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anderer Epochen, anderer Orte auf engstem Raum beieinanderstanden. Mit ihrer ganz eigenen Ignoranz gegenüber Stil und Geschichte huldigten einige jedoch weder einer bestimmten Zeit noch einem bekannten Ort. Wenn man es zuließ, nahm der Sinn für Realität hier Schaden, und die meisten Besucher ließen es zu — deswegen waren sie ja gekommen. »What happens here, stays here«, lautete das offizielle Motto der Stadt. Für die hoffnungsvollen Hedonisten aus Milwaukee, Wichita und Saskatoon bedeutete das sozusagen den Startschuss. Selbst das Tageslicht schien über mehr Lumen zu verfügen; es blendete viel zu sehr, um natürlich zu sein.
    Ich glaube nicht, dass die Jungfrau Maria hier jemals gesichtet wurde. Das ist nicht ihre Stadt. Und doch war sie voll von Gläubigen. Auf den Bürgersteigen zu beiden Seiten des Boulevards rollte der Strom der Pilger, die, bekleidet mit Shorts und Sandalen, bereit waren, die Kollektenteller der Kasinos mit ihrem Pensionsgeld zu füllen. Die Hoffnung des wahren Gläubigen: Wenn den Göttern von Vegas genügend Opfergaben dargebracht werden, werden sie den Pilger mit einer Glückssträhne segnen. Glück im Spiel als einzige Erlösung.
    Ich vergeudete nicht viel Zeit am Fenster, sondern fuhr recht bald hinunter in den achten Stock und lauschte an der Tür von 821. Der Fernseher lief und neben dem Gelächter aus der Konserve hörte ich, wie eine Frau, vermutlich Carla, und ein Mann, zweifelsohne Hector Martinez, miteinander sprachen. Es war nicht zu verstehen, was sie sagten, aber das Gespräch wurde schnell geführt und war ziemlich aufgeladen. Die Anspannung im Raum war durch die Tür hindurch spürbar.
    Ich fuhr hinunter ins Kasino und wählte einen Spielautomaten gegenüber den Fahrstühlen. Will man ein Hotel in Las Vegas verlassen, muss man zwangsläufig durch diesen Maschinenpark. Es gibt kein leichtes Entkommen, was die Spielautomaten, die Tische für Blackjack oder Craps und die Rouletteräder betrifft. Ein gut dreihundert Meter langer Zickzacklauf führt einen an Hunderten von Spielen vorbei, bevor man das Ziel, den rettenden Ausgang, erreicht hat. Ein Ambiente, so subtil wie die Mündung einer Waffe zwischen den Rippen.
    Ich trug eine blaue UTEP-Kappe, eine Sonnenbrille und einen Dreitagebart — eine hinreichende Verkleidung, wollte man nicht auffallen, dort, wo man nicht erwartet wurde.
    Ich saß vor meinem Pokerautomaten, versorgt mit einem Becher voller 25-Cent-Stücke, den ich etwa einmal in der Stunde auffüllte. Neben mir, eine kalte Zigarette zwischen den Lippen, spielte eine stark geschminkte Matrone die Jokers-Wild-Option an ihrem Automaten. Die langjährige gebeugte Haltung vor elektrischen Banditen hatte ihr einen beachtlichen Buckel beschert. Ihre Bewegungen waren mechanisch und unermüdlich — Jahre des Hoffens zur Gewohnheit erstarrt. Das Ritual bereitete ihr kein Vergnügen. Sie erinnerte mich an eine alte Frau aus El Paso, eine düstere abuela, ganz in Schwarz gekleidet, die in der Kathedrale San Patricio an der Mesa Street immer in der vordersten Reihe saß und sich im gemurmelten Spanisch durch die Stationen des Kreuzwegs betete.
    Gegen drei Uhr nachmittags hatte die Belagerung des Pokerautomaten für mich ein Ende. Carla und Hector kamen aus dem Fahrstuhl und steuerten den Ausgang des Kasinos an. Ich vermachte dem alten, weiblichen Automaten-Junkie meinen noch zur Hälfte mit 25-Cent-Stücken gefüllten Becher — Wert etwa fünfzehn Dollar. Sie sah mich an, ihre ohnehin blassen Augen von Misstrauen getrübt. Dann lächelte sie und ihr falsches Gebiss reflektierte den gesamten Regenbogen der Festbeleuchtung des Kasinos. »Das wird Ihnen doppelt Glück bringen«, sagte sie. »Jesus ist jetzt auf Ihrer Seite, mein Lieber. Warten Sie nur ab.« Ich war nicht überzeugt, dass die Verdoppelung meines Glücks automatisch eine gute Sache sei, dennoch bedankte ich mich bei ihr.
    Ich verließ das Kasino gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Carla und Hector in ein Taxi stiegen. Ein fetter Typ in einem Walmart-Anzug stieg in das Taxi dahinter. Unwillkürlich musste ich an Bluto aus dem Popeye-Comic denken: Dick und unansehnlich, ohne sich dessen zu schämen, dazu eine abfallende Stirn, die auf einen verkürzten Stirnlappen schließen ließ, immerhin der Teil des Gehirns, der für die Steuerung des zivilisierten Verhaltens verantwortlich ist.
    Mein Mietwagen, ein Chevy, befand sich in der Obhut des Parkservice, aber die Zeit reichte nicht, ihn holen zu lassen.

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