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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis
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vernünftige Mann einen fatalen Fehler. Er sah dem verärgerten Alpha-Männchen direkt in die Augen. Der Schimpanse empfand das als blanke Provokation. Das zarte Band zeitweiliger Schimpansen-Vernunft riss.
    Das schlaue Weibchen fand einen Stock, mit dem es ihr gelang, die Käfigtür zu öffnen. Beide Schimpansen stürzten sich nahezu blindwütig auf den Mann. »Wo ist unser verdammter Kuchen?«, schienen die Bewegungen ihrer Hände und Augen zu sagen. »Warum bekommt das Geburtstagskind Kuchen und wir nicht?«
    Unter wütendem Kreischen schlugen sie den Mann nieder, rissen ihm ein Auge heraus, bissen ihm Finger, Lippen und Nase ab, zerfetzten seine Hose und rupften ihm die Genitalien ab. Zu Beginn der Attacke hatte der Mann versucht, die Schimpansen zu beruhigen, hatte also etwas eingesetzt, woran es ihnen mangelte: Vernunft. Das ist unser Revier, so ihre Reaktion. Du hast dich in unserem Revier respektlos verhalten, und das ist die Quittung. Hättest du uns einen Kuchen mitgebracht, wäre das nicht passiert. Selbst eine schäbige Banane hätte genügt.
    Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten, anders als wir nur durch ein Prozent des genetischen Codes, der uns als »Menschen« definiert. Intelligent und gutmütig — so sehen sie die meisten von uns, doch diese rebellierenden Schimpansen beschlossen, einem verwandten Primaten eines Kuchens wegen das Augenlicht zu nehmen, ihn zu verstümmeln und zu kastrieren. Es geht niemals um die Sache, es geht um die Geste. Die gekränkten Schimpansen drehten völlig durch. Unsere ureigenen Dämonen stecken in unseren Genen. Wir halten sie in einer Büchse unter Verschluss. Wenn sie dort ausbrechen, nennt man das »vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit«.
    Luther hängt einer Theorie an, mit der ich mich anfreunden kann: Vor Tausenden von Jahren seien auf dem europäischen Kontinent und in den Steppen Asiens Menschen ausschließlich für die Kriegskunst gezüchtet worden. Sie seien stark gewesen, intelligent, schnell und furchtlos. Die Züchter dieser Krieger hätten sich potente junge Männer herausgepickt, deren Antrieb zu beherrschen und zu zerstören, anderen den Schädel einzuschlagen und Beute zu machen stark ausgeprägt gewesen sei. Die Vorstellung von zivilem Verhalten habe sich noch nicht entwickelt. Man habe diese Kampfmaschinen mit Frauen gekreuzt, die ähnliche Wesensmerkmale aufgewiesen hätten. Diese Verbindungen müssen die wahre Hölle gewesen sein, die Nachkommen hingegen sicher beeindruckend. Eine derartige Form spezieller Züchtung über ein paar Generationen vorangetrieben und man erschafft ein Volk, das genug Furor im Leib hat, um die Tore der Hölle niederzureißen und den Teufel in den Arsch zu ficken. Ziviles Verhalten gehörte nicht zu den besonderen Stärken dieses Volkes.
    Luther behauptet, dass es so etwas wie Überbleibsel dieser Züchtung unter uns gebe, nur habe die Gesellschaft keine Verwendung für sie. Wir brauchen niemanden, der durch die Gegend rennt und ausgewählten Feinden mit einer Keule den Schädel einschlägt. Einige von ihnen treten in die Armee ein, sofern es einen Krieg gibt, der es wert ist, dass man in ihm kämpft. Aber das Militär ist eine Bürokratie mit automatisierten Abläufen und für so etwas fehlt diesen Männern die Geduld. Sie mögen es nicht, Befehle von Leuten entgegennehmen zu müssen, für die sie keinen Respekt empfinden. Also, wie fügen sie sich ein? Überhaupt nicht. Einige wenige wenden sich Sportarten zu wie Boxen oder Football, aber selbst diesen Formen des Kämpfens sind durch Regeln zu enge Grenzen gesteckt, als dass sie befriedigend sein könnten. Der Großteil dieser Männer sitzt hinter Gittern. Manche nehmen gefährliche Jobs an, die normale Männer als Selbstmordkommando bezeichnen würden. Der normale Mann erkennt diese Typen, wenn er sie sieht, und wird, sofern er alle fünf Sinne beisammenhat, ihrem starren Blick zügig ausweichen.
    Ein Exemplar dieser Spezies saß an der Bar des Hollywood-Cafés, vor sich ein Bier und eine Taco. Als er mich bemerkte, drehte er sich auf seinem Hocker um und sah mich an. Der Kerl war groß — um die zwei Meter —, zirka hundertzwanzig Kilo schwer und hatte Sehnen wie Stahltrosse.
    »Man hat mir gesagt, dass Sie in etwa um die Zeit hier aufschlagen«, sagte er.
    Ich erwiderte sein Grinsen nicht. Überaus kräftige Arme voller Knasttätowierungen. Ein rasierter Schädel. Er hatte starke, vorstehende Kieferknochen, die ihm einen archaischen Anstrich gaben, und

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