Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Kein persönlicher Bekannter, aber an seinem schicken Anzug und der italienischen Sonnenbrille, an seiner Art, die Menge im Blick zu behalten und dabei in ein Funkgerät zu sprechen, erkannte ich den Polizisten in Zivil, den judiciale .
Ich sprach ihn an. » Con permiso, señor … «
Er sah mich an, bemerkte das Blut an meinem Ohr und seine Miene signalisierte Interesse, wenn auch ein genervtes.
» Esos gringos, en el Hummer? «, fragte ich.
Der Hummer bewegte sich nur zentimeterweise auf die Santa-Fe-Brücke zu. Huddy reckte seinen Kopf aus dem Seitenfenster, um die Ursache für den Stau herauszufinden.
» Sí? «, erwiderte der judiciale .
» Tienan pistolas .«
» De veras? «
» Sí, dos pistolas .«
» Son sus compadres? «
» No, no, señor «, sagte ich und hob die Hände, um zu unterstreichen, dass ich nichts zu tun hatte mit den beiden. » Nomás les vi en un barro « — ich habe sie nur in einer Bar gesehen. Ich zog mein Hemd hoch, um zu verdeutlichen, wo Huddy und Spode ihre Waffen versteckten. Die Finger meiner anderen Hand formten eine Pistole.
» Qué barro? «, fragte er.
» El Club Chi-Chi .«
Er musterte mich. Vermutlich fragte er sich, ob ich irgendein Durchgeknallter sei, dann sah er hinüber zu dem Hummer, sah ganz sicher vor seinem geistigen Auge, wie gut der sich in seiner Einfahrt ausmachen würde. Der judiciale verlor das Interesse an mir. Er sprach leise in sein Funkgerät und im Nu tauchte ein halbes Dutzend Männer mit M16-Gewehren aus der Menge auf und umstellte den Hummer. Huddy und Spode wurden aufgefordert, auszusteigen und die Hände auf das Wagendach zu legen. Man tastete beide Männer ab und fand ihre Waffen. Spode sah mich über die Schulter hinweg an. Ich nickte ihm flüchtig zu und verabschiedete mich mit einem angedeuteten militärischen Gruß. Letzten Endes war Spode Teil eines »Kommandos«. Er erwiderte den Gruß mit dem Mittelfinger, bevor die judiciales ihm Handschellen anlegten.
Mexiko, ein Land, das eine Reihe von Revolutionen durchlebte, gestattet keine Waffen in den Händen von Zivilisten. Besonders empfindlich reagieren die Mexikaner auf US-Bürger, die mit Waffen ins Land kommen. Diese Befindlichkeit reicht mehr als ein Jahrhundert zurück. Ein Geschichtsfreak wie Spode hätte das wissen müssen. Jetzt würden die beiden die vielen Vorzüge des mexikanischen Strafsystems kennenlernen.
19
Mein Anrufbeantworter war voll bis zum Anschlag.
»Wir müssen uns unterhalten, dringend«, sagte Pilar Mellado. »In River City herrscht Krisenstimmung.«
»Wo zum Teufel steckst du?«, fragte Luther Penrose. »Du kannst dir nicht vorstellen, was mir alles zugemutet wird.«
»Unser Zinsniveau befindet sich auf historisch niedrigem Stand«, verkündete eine Stimme, die nach eigener Aussage »Jimmy Vasquez von Cibola Savings and Loan« gehörte.
»Wahrheit ist Schönheit und Schönheit ist Wahrheit«, deklamierte meine Mutter. »Das haben wir auf der Highschool immer den Kindern gesagt. Jetzt ergibt das so richtig Sinn, nicht wahr? Weißt du, was Gravitationswellen sind, J.P.?«
»Ich hatte viel Spaß an unserem gemeinsamen Nachmittag, J.P. Morgan, aber da wäre noch mehr drin, was meinst du?«, sagte Dani Thrailkill. »Ich bin heute nach Phoenix gefahren. Besuch mich mal. Ich werde deine Prostata mit einem ganz besonderen Gel bearbeiten.« Sie nannte ihre Adresse in Tempe. Ich notierte sie nicht. Es gab sechs weitere Nachrichten von Leuten, die ich nicht kannte und die mir Sachen anboten, die ich nicht wollte.
Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel des Badezimmers. »Du bist schön«, sagte ich. Ein Zahn war locker und meine Zunge hatte einen Riss. Kopfschmerzen arbeiteten sich vom Hirnstamm weiter bis in die Stirnlappen. Ich schluckte vier Darvocet, wusch mir das Blut aus dem Ohr und nachdem ich das Telefon ausgestöpselt hatte, machte ich mir eine große Bloody Mary. Danach ging ich zu Bett mitsamt einem Eisbeutel für meinen geschwollenen Kiefer.
Nach zwanzig Stunden traumlosen Schlafes wachte ich auf.
Ich rief Velma an. Niemand nahm ab. Ich rief Pilar Mellado an. »Was haben Sie mit Velma gemacht?«, fragte ich ihren Anrufbeantworter.
Ich rief Luther an. »Vielleicht habe ich mich doch geirrt«, erklärte ich ihm.
»Du sagst das mit einer gewissen Betroffenheit, als würde es dich überraschen«, erwiderte er. Er saß auf dem hohen Ross. Aber saß er das nicht immer?
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte ich. »Zwei Leute auf der Flucht können sich
Weitere Kostenlose Bücher