Goetterdaemmerung - Roman
Einflüsterungen seiner Favoritin und geschickt an die Wünsche Giulias herangeführt, begeisterte sich der Herzog nach und nach dafür, ein Fest zur Einweihung des Hôtel Beaujon zu geben, das alles Bisherige übertreffen und als Vorbild für prunkvollen Luxus und Geschmack in Erinnerung bleiben sollte: «Hervorragend! Wir werden diese dummen Pariser, die ‹Tannhäuser› ausgepfiffen haben, einen unveröffentlichten Akt Wagner hören lassen …»
Und die Langeweile, die ihn in seiner Zweisamkeit mit Arcangeli, dessen Stern verblasste, erneut dahinsiechen ließ, bestärkte den Herzog in seinem Entschluss. Von diesem Moment an beherrschte einzig die Oper das Haus und die Gespräche seiner Vertrauten, nur Christiane und Hans Ulrich wussten nichts von der angekündigten Gala und welche Rolle Seine Hoheit ihnen dabei zugedacht hatte.
Tatsächlich sah man sie, sofern das überhaupt möglich war, noch seltener als an den Champs-Élysées, und ihr Gemach, das exakt dem früheren glich – bis hin zu den Skulpturen und Verzierungen, der vergoldeten Kassettendecke mit ihren erlesenen Gemälden und dem riesigen venezianischen Leuchter –, erinnerte sie nicht daran, dass sie sich an einem neuen Ort befanden. Flämische Triptychen, emaillierte, von Früchten umgebene Madonnen, herausragende Bilder großer Meister, eine Vitrine voll schwärmerischer Reliquien, die vier florentinischen Büsten, dieselben gestapelten Wunderwerke seltener und ungewöhnlicher Bücher, Stoffe, Elfenbeinschnitzereien, Chinoiserien, kostbare Nippsachen, die alte bemalte Harfe in ihrer Ecke, hier und da auf Sesseln herumliegende Theorben und Arciliuti 90 , diese ganze übereinstimmende Einrichtung, die nach einer recht lang andauernden Phase der Unordnung gegen Weihnachten wiederhergestellt war, stieß Christiane und Hans Ulrich unweigerlich auf die leuchtenden und ruhigen Tage, die sie mit diesem Kabinett verbanden. Bruder und Schwester atmeten auf; das Joch, das ihr Herz bedrückte, schien sich etwas zu lösen. Sie fanden wieder Vergnügen an der Lektüre; auch die lange vergessene Musik erklang aufs Neue: Es schien, als hätte ein Tropfen früherer Genüsse aus diesem Fluss voller Zärtlichkeit und süßer Empfindungen, der früher durch ihre Adern strömte, sich wieder seine Bahn gesucht. Eines Morgens schließlich vergaß sich Christiane in den Armen von Hans Ulrich und ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, bis eine Stimme erklang, eine innere Stimme, die sie nur zu gut kannten:
«Ihr seid mein Bruder, Giovanni!»
«Und ihr meine Schwester, Annabella!»
Sie erbleichten, erwachten und es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen, als beide erkannten, wie weit das Übel in ihrem Inneren fortgeschritten war. Wie gähnend war der Abgrund, an dessen Rand sie eingeschlafen waren; wie bedrohlich waren die Fluten und Stürme, während deren sie sich in Sicherheit gewähnt hatten! Es waren furchtbare Tage für die bedauernswerten Kinder. Sie versuchten, sich die Zeit mit tausenderlei Beschäftigungen zu vertreiben, und verlustierten sich, unaufhörlich getrieben von der sie verzehrenden Unruhe, nach allen Richtungen, im Bois, bei den Rennen, bei Gesellschaften. Doch diese alltägliche Zerstreuung, diese für gewöhnlich verordneten Heilmittel verhinderten ihre Leiden nicht; dafür hätte man die Quelle, die ihr eigenes Herz war, verstopfen müssen. Christiane wurde blasser und dünner. Ihre erloschenen Augen blickten hohl, ihr Gesicht war entstellt; oft brach sie in Tränen aus, und Hans Ulrich, der früher die Ruhe selbst gewesen war, wurde reizbar und nervös; schon ein kleines Geräusch oder der Duft einer Rose verstimmten ihn. Doch vor allem nachts boten sich ihnen tausenderlei fürchterliche Gedanken dar; etwas weit Stärkeres bewegte sich dann in ihrem Schoß, und sie standen wie erstarrt vor dem Monster, das sie in sich nährten; oder aber, wenn sie endlich einschliefen, suchten sie nun in ihren Träumen grausame Qualen heim, genau wie tagsüber.
Um sie herum wurde unterdessen das ganze Haus für die Gala vorbereitet. Im Spiegelsaal errichteten die Arbeiter schon die Bühne und die restlichen Aufbauten, und der Herzog besah sich jeden Nachmittag das Modell des Bühnenbilds beim alten Séchan 91 , dessen riesige Werkstatt ihn ablenkte. Der Dirigent des Théâtre Lyrique hatte sich verpflichtet, die Musiker herbeizubringen; den Hunding sollte der berühmte Bariton Doëry aus Wien übernehmen, dem die Sängerin dahingehend schrieb; alles ließ sich
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