Goetterdaemmerung - Roman
bestens an. Erst als die Belcredi den Herzog so voller Eifer sah, erinnerte sie Seine Hoheit, dass man Christiane und Hans Ulrich benachrichtigen müsse.
Doch schon nach den ersten Worten lehnten beide ab und versicherten, dass sie keinesfalls öffentlich singen wollten.
Man kann sich den seltsamen Aufruhr und Herzog Karls Verwünschungen vorstellen: Selbst seine geringsten Pläne wurden stets durchkreuzt! Eine Kinderlaune sollte ihm diese kleine Freude rauben, nach der er sich so lange schon sehnte; kurz, er hatte so viele wütende Zornesausbrüche, dass Christiane schließlich nachgab, und dann, als er sie weinen sah, stimmte auch Hans Ulrich zu. Wenn man es recht bedachte, hatten beide keinen anderen Grund für ihre Weigerung als die Furcht, auf einer Bühne zu stehen; aber wer wüsste schon, ob die Ablenkung ihnen nicht guttäte und eine Verkürzung ihrer sich endlos hinziehenden Stunden bedeutete?
Giulia Belcredi selbst wollte mit der Gräfin und ihrem Bruder die Rollen einstudieren. Vom Abend des nächsten Tages an wirbelte sie fröhlich, unbeschwert und redselig um die jungen Leuten herum und bewunderte das fertige Gemach und die unzähligen, kurioserweise überall ausgebreiteten, reizenden Dinge. In dem großen Leuchter hatten ein paar Wachskerzen gebrannt, deren Licht einen die hoch oben an den Wänden hängenden Gemälde bis zum kleinsten Zug unterscheiden ließ, zum Proben jedoch wurden sie gelöscht. Überall herrschte eine majestätische Stille; Giulia war ganz ernst geworden und stand kerzengerade vor dem Klavier; in dem weiten Gemach leuchtete nur eine einzige Lampe. Schließlich setzte sich die Belcredi, ließ ihre Finger übers Klavier gleiten und fragte dann, bevor sie anfingen, die Sänger, ob sie sich an die Dichtung erinnerten.
Keiner der beiden hatte diesen ersten, so unvermittelt unterbrochenen Akt gänzlich durchdrungen, und um einen Anfang zu machen, ergriff die Belcredi das Wort und fasste ihnen kurz den Inhalt zusammen – Sieglinde steht Siegmund bei, Hunding erkennt ihn, fordert ihn heraus, dann bleibt der Held allein; er träumt vor sich hin, fühlt, wie ihm das Herz aufgeht, als Sieglinde erscheint, ihre Liebesgeständnisse, das lange Duo, ihre Flucht –, ohne dass ein einziges von Giulias Worten enthüllt hätte, welch weit schlimmerer Frevel einen Schatten auf ihren Ehebruch warf. Dann schlug sie ein paar Akkorde an und Hans Ulrich setzte ein.
Sie trugen das erste Duett vor, sangen ihre jeweiligen Partien in der dann folgenden Szene mit Hunding. Wie zwei Saiten im Unisono, deren eine erklingt, wenn man die andere anschlägt, bebte ihr Herz bei den gegenseitigen Erwiderungen. Sie ließen sich mitreißen, sangen aus voller Kehle; das Feuer der Liebe erfüllte ihre Seelen allenthalben mit Freude und Licht, und als sie am Ende das triumphale Frühlingslied anstimmten, nahmen sich Christiane und Hans Ulrich bei der Hand. Fiebernd, verzückt und atemlos erreichten sie ohne Fehler das Ende dieser bewundernswerten Passage.
Da sagte Giulia, als erwache sie gerade aus einem Traum: «Im folgenden Akt offenbart sich, dass sie Bruder und Schwester sind, beide sind Kinder des Gottes Wotan, der sich hinter dem Namen Wälse verbirgt.»
Sie wurden kreidebleich, und ihre Hände lösten sich, ließen einander los; ihr wie trunkenes Gesicht erlosch, in einer krampfhaften Bewegung verzerrt; äußerste Stille ließ erahnen, welch ein Schrecken in sie gefahren war. Christiane hatte die Augen geschlossen, wie an dem Abend, als ihnen die Belcredi die Szene aus Ford vorgelesen hatte; Hans Ulrich starrte völlig fassungslos mit durchdringendem und melancholischem Blick in den Schatten auf einen echten, alten Rembrandt. Welcher Dämon, der um die Verwirrung ihrer Seelen wusste, ergötzte sich damit, vor ihnen unaufhörlich diesen fatalen Vorhang aufgehen zu lassen? Waren denn die grausamen Qualen, an denen sie vergingen, überall zugegen, und würden die Gesänge der Musiker, die Verse der Dichter ihnen in Zukunft nichts anderes zu Ohren bringen als den Frevel und das schreckliche Begehren, das sie verzehrte? Bruder und Schwester standen völlig bewegungslos; andere Begierden, die in ihren Herzen noch unausgesprochen waren, entbrannten in ihnen; sie konnten keinen klaren Gedanken fassen, und inmitten dieses fürchterlichen Niedergangs, bei jeder Zuckung ihres verlöschenden Verstands, fühlten sie sich noch tiefer sinken, nicht in ein bestimmtes Leid, sondern in einen Abgrund aller erdenklichen
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