Goetterdaemmerung - Roman
gelegt hatte, hatte sich der Herr gelangweilt und nach Giulia verlangt. Draußen regnete es unaufhörlich; durch die Rundbogenfenster war ein grauer Himmel zu sehen, der den riesigen Saal mit seinen in Terrassenanbau gepflanzten Orangenbäumen nur sehr schwach erhellte, während der asphaltierte Boden mit aus den geöffneten Kisten geholten Vasen und Porzellan vollgestellt war. Hochgewachsene Burschen in rotem Wams liefen träge umher; Hammerschläge erklangen und Herzog Karl gähnte plötzlich erschöpft und sagte, er wolle aufbrechen, doch bat ihn die tändelnde Giulia zu bleiben. Die Diener hatten sich gerade einer letzten Kiste zugewandt, als die Sängerin eine typisch weibliche Laune überkam und sie wissen wollte, was sich darin befand – wie ein plötzliches und unerklärliches Vorgefühl.
Bald schon hob sich der Deckel unter dem Meißel und die Belcredi beugte sich darüber, blieb jedoch in ihren Erwartungen enttäuscht, und Karl von Este sagte lachend: «Nun! Das sind nur Notenhefte.»
Schon hatte sie eines der handgeschriebenen Hefte herausgenommen; und sogleich erkannte Giulia den ersten Akt der «Walküre». Im Getümmel der nächtlichen Flucht hatten die Soldaten tausenderlei Kleinigkeiten eingepackt, die man auch gut und gerne hätte zurücklassen können, darunter auch diese Noten, vermutlich wegen ihres roten, mit Wappen geprägten Einbandes aus Maroquin 88 . Alle Teile waren vorhanden, sogar die Partitur des Orchesterchefs mit Bleistiftkorrekturen und Anmerkungen von Wagners Hand.
Da durchlebte Herzog Karl jenen Abend noch einmal im Geiste, den schillernden Saal, Sieglinde und Siegmund auf der Bühne, die gespannte Erwartung des Publikums … und den Boten, der an seine Loge geklopft hatte. Aus seiner Tasche hatte er einen kleinen, malachitbesetzten Handspiegel gezogen und begutachtete damit seine Nase, die sich zu seinem größten Leidwesen seit zwei Wochen immer mehr rötete; dann stieß er ein gezwungenes Hohngelächter aus. «Ach, ach!, die Herren Preußen mögen keine Musik», sagte er schließlich, «ich hätte mir gewünscht, dass wenigstens der Akt zu Ende gebracht worden wäre.»
Eine Röte huschte über Giulias Gesicht, ihre Augen blitzten in heftiger Gemütsbewegung; ein verstohlenes und dunkles Lächeln, das sich diese gioconda 89 im tiefsten Innern selbst zuwarf, erschien wie das düstere Vorzeichen einer höllischen Intrige, die sie sich soeben ausgedacht hatte. Der Herzog hielt sich immer noch den Spiegel vor die Nase, die er vorsichtig mit einer Hasenpfote weiß puderte, und wiederholte zwischen den Zähnen: «Ja, ja!, ich hätte wirklich gewollt, dass der Akt zu Ende gebracht worden wäre.»
«Mein lieber Herr», sagte da die Belcredi mit ruhiger Stimme und sah ihm tief in die Augen, «es liegt nur bei Euch, ihn noch einmal zu hören. Eure Hoheit sollte hier, und dieses Mal fern von allen Störern, die Vorstellung geben lassen, die in Wendessen nicht zu Ende gespielt werden konnte.»
«Zweifellos», sagte der Herzog galant nach kurzem Schweigen, «Sieglinde sehe ich vor mir; mit einem Siegmund …»
Doch die Sängerin unterbrach ihn: «Eure Hoheit möge mir verzeihen! Ich dachte nicht an mich selbst, als ich Euch diesen Vorschlag unterbreitet habe; ich dachte nicht einmal», fügte sie hinzu, «an irgendeinen anderen Bühnenschauspieler.»
Die Belcredi nannte nun sogleich Hans Ulrich und Gräfin Christiane, rühmte immer leidenschaftlicher die große Wirkung, die diese auf der Bühne erzielen würden; sie begeisterte sich für ihre Stimmen, die wunderbarsten, die man finden könne: «In keinem Theater weit und breit gibt es derzeit vergleichbare Stimmen, und ich weiß, wovon ich rede, Monseigneur …»
Sie weidete sich daran, wie offen Herzog Karl der Idee einer Aufführung begegnete und verbreitete sich schließlich in zarten Beteuerungen und Ergüssen.
Zwanzigmal am Tag brachte sie die Frage aufs Tapet, und stets lobte sie dabei Hans Ulrich und Christiane, stets beglückwünschte sie Karl von Este zu seinem Abend in Wendessen, mit dem er einen wunderbaren Erfolg hatte, so sagte sie, wohl wissend, dass sie kein Risiko einging, wenn man beim Herzog diese Saite anschlug. Im Übrigen war es die Zeit jener erstaunlichen Mode der Gesellschaftstheater; man sprach nur noch von Maskenspielen, Komödien und Opern. Die affektiertesten Prinzessinnen lernten und deklamierten Rollen und spielten sie zu Hause vor versammeltem Publikum im Schauspielerinnenkostüm. Geleitet durch die
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